Sonic:Mehr oder weniger

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Einer der interessantesten deutschen Rapper kommt für ein kostenloses Konzert nach Erding - als Teil eines Blues-Duos

Von Philipp Bovermann, Erding

Nach ein paar Takten der Geschichte, in der Textor von einem "boy" und einem "girl" erzählt, die sich in einer Samstagnacht treffen, hebt er die Stimme und beginnt zu singen. Nur ein paar Tonhöhen hinaus über den eben noch monoton klappernden Sprechgesang, dem man angehört hat, dass der Mann am Kontrabass, bevor er Bluesmusiker wurde, mal Rapper war. Doch dann kehrt er zu seinem Grundton zurück und der Refrain beginnt: "I go Boom, Clack, Boom-Clack. Boom, Clack, Boom-Clack." Das ist eben der Takt des Lebens, der Lauf der Dinge, so scheint er zu sagen: Da treffen sich ein "boy", der früher "my friend" war, und ein "girl", das früher "my girl" war. Seit jener Begegnung sind sie es nicht mehr.

Dass Textor & Renz sich begegnet sind, ist hingegen ein großer Glücksfall: Für Erding, wo die beiden Musiker am Samstagabend zu freiem Eintritt im Sonic spielen werden, für den Blues, den Country, irgendwie sogar auch die Volksmusik, denen sie jeweils interessante neue Aspekte abgewinnen, vor allem aber für den Hip Hop.

Um das zu verstehen, muss man wissen, wer dieser Textor ist: Henrik von Holtum, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, gründete 1994 mit Sascha Klemmt, genannt Quasimodo, in Ulm die Band Kinderzimmer Productions. Die beiden machten Hip Hop, flogen aber unter dem Radar der Szene, in der es im Verlauf der Nullerjahre immer breitschultriger und goldkettenhafter zuging. Sie machten im "Game" der Selbstüberhöhung aus dem Nichts der schwäbischen Provinz zwar mit, aber auf ironisch gebrochene Art. Im Song "Mehr oder weniger" prahlte von Holtum, seine Schrift sei "krakliger, meine Klappstühle klappriger, weniger Klapsmühle, mehr so Wird-Schon-Klappen-Gefühle nach der Pause, das Schönste, was es gibt, und in der Zwischenzeit Klaviermusik". Dann klimpert wirklich ein Klavier vor sich hin und man fragt sich, mit selig schwirrendem Kopf, wo zum Teufel im letzten Satz denn nun die Kommas waren.

1996 warnte Textor in einem Song, Lächeln fände er doof, "weil ich beim Lächeln meistens gähne und nur 'ne Telefonzelle ist so gelb wie meine Zähne". Trotzdem kamen um die Jahrtausendwende zwei Alben bei den Major Labels Sony und Virgin heraus, beide erste Sahne, aber die Teenies gingen zum Kreischen trotzdem woanders hin. Dabei taten Kinderzimmer Productions einfach nur das, worum es im Hip Hop angeblich gehen soll: "Keeping it real." Sie machten unbeirrt ihr Ding - und ihr Ding waren nun mal Endlossätze, Jazz-Zitate und Kontrabass-Beats. Sie blieben ihren Wurzeln treu - und die lagen nun mal nicht im Problem-Plattenbau, sondern in der Stuttgarter Musikhochschule. Das "Realste", was sie machen konnten, war irgendwann, gar keinen Hip Hop mehr zu machen, sondern sich aus dem "Rap Business" für immer zu verabschieden. Sie taten das 2007 mit einem Konzert, bei dem sie sich vom Radio Symphonie Orchester Wien begleiten ließen. "Gegen den Strich" heißt die Aufnahme.

Auch Holger Renz ging in Stuttgart zur Musikhochschule. Dort waren er und von Holtum die einzigen beiden mit Dreadlocks und wurden ständig verwechselt. "Holger ist ein sehr untypischer Gitarrist", sagt von Holtum am Telefon. "Er hat nicht den Reflex, im Zweifel lauter zu werden, sondern im Gegenteil: leiser."

Dieses Wenige und Leise wurde zur musikalischen Strategie der beiden, die ab 2010 unter dem Namen Textor & Renz auftraten: Textor als Sänger und am Kontrabass, Renz meist an der Gitarre. Als sie bei ihren ersten Shows auf der Bühne standen, drohte der Lärmpegel im Raum häufig ihre leise gespielten Stücke zu verschlucken. Also spielten sie noch leiser. Dann kam Ruhe in den Saal. So machen sie es auch, wenn sie an neuer Musik arbeiten. Sie nennen diesen Prozess "Skelettierung". "Jeder Song hat ein Rückgrat oder eine Statik", sagt von Holtum. "Wir lassen so lange alles weg, bis wir an diesem Gerüst dran sind. Wenn der Song gerade zu kollabieren beginnt, gehen wir wieder einen Schritt zurück. Und so spielen wir ihn dann."

Was anschließend übrig bleibt, ist fast nichts, aber eben immer noch etwas, das sich schwebend über dem Nichts erhält. In ihrem Song "Maybe Dead" durchbricht, von langen Pausen unterbrochen, eine nur angezupfte Saite die Stille. Textor singt dazu, er habe den Boden unter den Füßen und die Orientierung verlieren, jetzt fühle er, wie Staub auf seinen Kopf fällt. "Maybe I'm dead, would you please watch out for me?" Vielleicht sei er tot, ob man bitte auf ihn aufpassen könne? Nach einem kurzen Gitarrensolo, bei dem man das Rauschen des Verstärkers zu hören glaubt, die Bewegung des Staubs durch die Luft, verklingt das Stück, als sei es nur ein fernes Echo gewesen. Um eine Weiterbewegung am Nullpunkt geht es auch in ihrer berückend zarten Neuinterpretation des Songs "Willin'" von Little Feat. Der Text erzählt von einem Trucker, der durch die Nacht fährt und in jedem entgegenkommenden Scheinwerfer seine "Dallas Alice" erblickt. Aber man solle ihm "weeds, whites and wine" geben, denn er sei noch "willing to keep moving".

Ein Trucker am Abgrund. Das ist etwas ganz anderes als die verschraubten Reimbewegungen, mit denen Textor früher über die Dinge hinweg "flowte" - und sie dabei zu beliebigem Material seiner ungeheuren Sprachkunst und seines Einfallsreichtums machte. Heute hält er sie sich nicht mehr ironisch auf Distanz, aber weil er auf Englisch singt, muss er dabei keine falsche Authentizität behaupten. Es geht nicht um jene realness, die im Hip Hop längst zum bloßen Verkaufsargument verkommen ist. Im Blues gibt es sie noch: Die echten Leiden und Konflikte der Menschen. Trucker, die weiter fahren müssen, weil sie sich das Anhalten nicht leisten können. Geschichten über den struggle der kleinen Leute. Volksmusik, aber ohne Folklore. Oder anders gesagt: Echte Musik, die aber nicht im Klischee erstickt, im Volkstümelnden. Vielmehr bewahrt sie sich gegenüber eine Fremdheit bei, die etwas mit der Sprache zu tun hat.

In deutschen Liederbüchern habe er solche Geschichten nicht gefunden, im Country und im Blues aber schon, so von Holtum. Nun stehe er vor dem Englischen, vor einzelnen Phrasen und Wendungen, "wie ein freundliches Alien". Damit ist er jenseits von real oder fake angekommen. Vielleicht war diese Skelettierung des deutschen Hip Hop bis zu seinem Blues-Rückgrat nötig, um endlich wieder ein neues Hip Hop-Album aufnehmen zu können. Er sei mit Quasimodo, seinem Partner bei Kinderzimmer Productions, nur noch "zweieinhalb Songs" von der Fertigstellung entfernt, verrät von Holtum. Eine umso bessere Gelegenheit, Textor & Renz bei ihrem Wohnzimmerkonzert im Sonic zuzuhören, wie sie in der Stille nach den Grundtönen des Daseins forschen. Es sollte viel Mehr von diesem Weniger geben.

Textor & Renz, Samstag, 26. Januar, 20 Uhr, Sonic Erding, Dorfener Straße 13, Eintritt frei

© SZ vom 24.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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