Sinnflut-Festival Erding:Aus Spaß am Kommerz

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Das Festival steht nicht nur für Kulturgenuss, auch der konsumfreudige Gast kommt nicht zu kurz. Das Angebot ist vielfältig, und die Menschen haben viel zu erzählen

Von Nils Westerhaus, Erding

Wenn es stimmt, dass sich die Menschen des Westens vor allem über ihren Konsum definieren, dann wäre das Sinnflut-Festival so etwas wie die globalisierte Variante eines Kaufhauses - für jeden was dabei. Den polnischen Schaschlikspieß kann man mit einem ostafrikanischen Kartoffeleintopf kombinieren und während jener noch klassisch an seiner Halben nippt, tunkt sein Sitznachbar schon sein indisches Brot in Minzsauce und nimmt einen Schluck Aperol dazu. Essen und Trinken verkaufen sich zweifelsfrei ganz wunderbar. Aber was wäre der Mensch nur, wenn er ausschließlich an sein leibliches Wohl dächte? Das Angebot ist vielfältig.

Für den "Schamanen" Dominic Memmel war es der erste Aufenthalt auf dem Sinnflut. Durchwachsen wäre sein Fazit, wenn er bloß auf das finanzielle Auskommen achten würde. "Das Fest hat mir die Chance geboten, neue, interessante Leute kennenzulernen und Kontakt nach Erding zu knüpfen." In seinem kleinen rot-weiß gestreiften Zelt können sich die Besucher hypnotisieren lassen. Das komme bei Kindern besser als bei Erwachsenen an, obwohl er zu später Stunde auch eine "Bier-Hypnose" anbietet, die nicht etwa mit dem Zustand eines Vollrausches verwechselt werden sollte, wobei: "ein Bier darf man davor schon getrunken haben", sagt Memmel augenzwinkernd. Der Hypnotisierte sei neben dem wachen und dem schlafenden einer von drei Bewusstseinszuständen, bei dem es um nichts anderes als das gegenwärtige Empfinden ginge. Wenn man also bei der Bierhypnose ein Bierglas in der Hand halte, spürte man nicht das Bierglas, sondern die eigene Hand, wie sie einen Gegenstand berühre. Wem diese kurze Phase des zutage geförderten Unterbewusstseins nicht genug war, den kann Memmel mit einer länger andauernden Hypnose aus seinem Zelt entlassen. Ganz so viel wie an der dichtumlagerten Gin-Bar ist bei ihm leider noch nicht los, da wolle er nächstes Jahr etwas mehr auf Show setzen.

Etwas haptischer ist da schon das Angebot, das Heidi Kugler und Karin Eichhorn ihren Besuchern zusammen mit ihren Freundinnen Edeltraut Kaiser und Crista Hluchenk machen. 13 Jahre betreiben sie ihren Stand "Kunst von uns für dich" schon, an dem sie ihr selbst hergestelltes Kunsthandwerk aus Glas und Mosaik anbieten. Dieses Jahr soll das letzte sein. Dabei hat ihr Abschied keinen wirtschaftlichen Hintergrund. Besucher, die auch kauften, gäbe es genug, wobei die bei dem heißen Wetter erst spät abends kämen. "Es ist einfach sehr viel Aufwand. Gerade wenn man noch einem regulären Beruf nachgeht. Ohne unsere Männer, die uns beim Aufbau des Standes geholfen haben, wäre das nicht gegangen", sagt Karin Eichhorn. 15 Jahre anwesend und noch kein Ende in Sicht; das gilt hingegen für Susi Fey. Kleider, Röcke, Jäckchen und Blusen können Frauen an ihrem Stand bekommen. Für Fey sind Feste wie das Sinnflut die Haupteinnahmequelle. Einige Besucher kämen nur wegen ihr, sagt sie. Denn einen festen Laden hat sie nicht. "Das hier ist wie mein Laden, nur zeitlich begrenzt", sagt Susi Fey.

Einen Teil ihrer Kleidung stelle sie selbst her, den anderen beziehe sie aus einer für sie produzierenden Schneiderei in Hanoi. Die Stoffe kämen aus China. "Alles fairtrade natürlich. Ich fahre dort auch hin und überprüfe, wie die Leute dort arbeiten, dass sie richtig behandelt und bezahlt werden. Das ist auch die Bedingung für das Tollwood in München und wenn ich das da einhalte, wieso sollte ich das hier ändern", sagt Fey. Auch ihr zwölfjähriger Sohn ist schon an der Festivalpräsenz beteiligt. Seine astrologischen Bilder, die er mit Graffiti sprayt, schmücken den Stand seiner Mutter. Und während die Mutter verkauft, ist der Sohn schon wieder auf dem Weg nach Brandenburg, wo er ab nächster Woche wieder die Schulbank drücken muss.

Zurück zu den Lebensmitteln. Es muss ja nicht alles gleich verzehrt werden. Manches kann man auch für Zuhause kaufen. So wie die Schnapsflaschen beim "Schwarzbrenner", für den das Sinnflut 2019 im Gegensatz zu den Jahren davor eher durchschnittlich verlief. "Vielleicht liegt es einfach daran, dass die Leute unseren Schnaps alle schon zuhause stehen haben und der Bedarf nicht mehr so groß ist", sagt Roger Jürgens. Als er vor zehn Jahren das erste Mal vertreten war, hätten ihm die Leute die Schnapsflaschen quasi aus der Hand gerissen.

Das facettenreiche Angebot auf dem Erdinger Sinnflut jedenfalls kommt gut an. Parkplätze und Bierbänke sind mehr als besetzt. Und neben Essen und Trinken geht sich auch das Geschäft mit dem Kunsthandwerk aus. Nur zu schnell urteilen sollte man nicht, wenn einem auf dem Nachhauseweg ein Torkelnder begegnet, dann könnte es sich auch um einen Hypnotisierten handeln.

© SZ vom 03.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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