"Sie reagiert immer so":Eine Zeugin lässt auf sich warten

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Zum zweiten Mal lässt sich eine Frau bei einer Gerichtsverhandlung entschuldigen - Angeklagt ist ein 20-Jähriger wegen Angriffs auf einen Polizisten

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Zeugen sind bei einem Prozess wichtig, um die Wahrheit heraus zu finden, vor allem, wenn es sich um unbeteiligte Beobachter handelt. Aber was ist, wenn sie nicht aussagen wollen oder trotz offizieller Ladung nicht vor Gericht erscheinen? Mit dem Problem sieht sich Amtsrichter Michael Lefkaditis konfrontiert. Angeklagt ist ein 20-Jähriger. Er soll am Sonntag, 12. November 2017 um 6 Uhr an der Tankstelle in der Sigwolfstraße einen Polizisten angegriffen haben. Der zog sich einen Kreuzbandriss im linken Knie zu. Der Angeklagte beteuert, dass er sich völlig korrekt verhalten habe, vielmehr sei er - als Unbeteiligter an einer Auseinandersetzung - vom Polizisten attackiert worden.

Bereits der erste Verhandlungstag hat gezeigt: Die Aussagen von sechs Zeugen ergaben kein klares Bild. Keiner hatte den Vorfall mit eigenen Augen gesehen, die Aussagen des Angeklagten und des verletzten Beamten widersprachen sich. Auch die Videoaufzeichnungen der neun Kameras an der Tankstelle konnten nicht zur Aufklärung beitragen, da sich das Geschehen außerhalb der Kamerabereiche abspielte.

Die Videoaufzeichnungen spielten dennoch am zweiten Verhandlungstag eine wichtige Rolle, um Zeugen zu finden, die den Vorfall mit eigenen Augen gesehen haben müssen. Eine davon ist - unabhängig von den Videoaufnahmen - eine Mitarbeiterin der Tankstelle, die auch die Polizei alarmiert hatte, nachdem sie eine handgreifliche Auseinandersetzung von zwei größeren Personengruppen beobachtet hatte. Beim ersten Verhandlungstag hatte sie sich kurzfristig mit einem ärztlichen Attest entschuldigen lassen. Diagnose: kurzfristige Sprechstörung aus unbekannten Gründen, wie Richter Lefkaditis sagte. Auch diesmal fehlte sie - die Sprachstörungen seien wohl von einem leichten Schlaganfall verursacht worden, so Lefkaditis.

Es wird ohnehin schwierig, eine Aussage von ihr zu erhalten. Ein Beamter sagte vor Gericht, dass es dort öfters zu Streitigkeiten komme, die Frau zwar die Polizei rufe, anschließend aber nie aussagen wolle. "Sie reagiert einfach immer so. Sie muss aber was gesehen haben, weil sie genau in die Richtung geblickt hat." Es sei denn, sie sei kurzfristig blind geworden.

Es muss weitere Videos geben, wie der Beamte sagte, da man erkennen könne, wie einige Personen ihr Handy auf den Streit richten. Allerdings kenne man weder alle Personen noch wurden Handys beschlagnahmt. Eine weitere Zeugin könnte eine junge Frau sein, die die Freundin des Angeklagten auf einer Aufzeichnung erkannt haben will. Man sieht die Jugendliche exakt in die Richtung blicken, in der sich alles abgespielt hat. Die Freundin des Angeklagten bestätigte im übrigen dessen Version. Der Polizist habe ihren Freund von hinten gepackt und umgerissen.

Amtsrichter Lefkaditis will nun in einer dritten Verhandlung am 19. Juni Klarheit haben - notfalls mit richterlichen Maßnahmen. Denn wer vom Gericht geladen wird, muss erscheinen und hat grundsätzlich auch die Pflicht, als Zeuge auszusagen. Wird das Zeugnis ohne gesetzlichen Grund verweigert - zum Beispiel wenn man sich mit seiner Aussage der Gefahr aussetzt, selbst wegen einer Straftat oder auch Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden - , werden dem Zeugen die durch die Verweigerung verursachten Kosten auferlegt. Zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht gezahlt wird, Ordnungshaft festgesetzt. Die Haft kann auch angeordnet werden. Sogar die Vereidigung eines Zeugen kann angeordnet werden. Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer nicht vereidigt wird und vorsätzlich die Unwahrheit sagt. Bei einer Vereidigung sieht das Gesetz eine Strafandrohung von einem bis 15 Jahren Freiheitsstrafe vor. Kommentar von Richter Lefkaditis: "Wenn ich jemanden lade, dann muss er kommen."

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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