Serie: "Vater, Mutter, Firma":Von wegen auf dem Holzweg

Lesezeit: 4 min

Zimmerer Sebastian Haindl arbeitet im Gegensatz zum Vater vor allem vom Büro aus - und hat den Umsatz so verdoppelt

Von Sebastian Fischer, Grucking

Die Sonne ist fast am Horizont verschwunden und wirft ein dämmriges Licht auf den Hof, als Sebastian Haindl junior seinem Vater aufs linke Ohr schaut und die Geschichte vom goldenen Ring erzählt, der dort baumelt. Es war der Vormittag an Heiligabend 1994: Vater und Sohn fuhren aus Grucking die sieben Kilometer nach Erding, sie brauchten noch Weihnachtsgeschenke und hielten vor einem Juwelier: Zimmerer tragen ja aus alter Tradition im linken Ohr eine Kreole. Also ließen sich die Haindls jeweils ein Ohrloch stechen. In der Kirche hätten sie sich am nächsten Sonntag gewundert, erzählt der Senior: "Ja, spinnt der Haindl jetzt völlig?" Die Anekdote vom Ohrring sagt viel über die Haindls: Sie schätzen die Tradition und sind stolz auf ihren Beruf. Und wenn sie von ihren Ideen überzeugt sind, ist ihnen egal, was die Leute darüber denken. So sind sie zur Familie geworden, über die der Bürgermeister von Fraunberg sagt: "Wir sind sehr froh, dass wir sie haben."

Früher am Abend, die Sonne scheint auf die Holzfassade des Elternhauses: Lerche. Davor steht ein Haus aus Douglasienholz, in dem Sebastian Haindl junior mit seiner Frau und seinen drei Kindern wohnt, dahinter zwei Fichtenholzhallen, das Lager und die Werkstatt. Und daneben das Bürogebäude, wieder aus Lerchenholz. Es ist keine Überraschung, dass es wohlig süß nach Holz duftet, wenn der 45-Jährige in seiner Zimmererkluft dort empfängt, mit einer Widmung auf der Schiefertafel hinter der Eingangstür. Und dass es hölzern klingt, als er auf den Tisch vor sich klopft.

Logisch: Bei Zimmerern geht es um Holz. Aber es beeindruckt dann doch, wenn Haindl junior durch seine Zimmerei und über den Hof führt, und erzählt, dass hier 1964 noch gar nichts stand, als der Vater begann, die Werkstatt zu bauen. 1969 errichtete er das Elternhaus daneben; seitdem wohnen Haindls, wo sie arbeiten. Der Junior war da gerade neun Jahre alt, mit zehn hat er sein erstes Baumhaus in eine Birke gebaut. Er wohnte weiter in Grucking, als er sein Ingenieurstudium in München begann; auch als er in einem Münchner Büro arbeitete, half er nebenbei in der Zimmerei. 2000 übernahm er sie. "Man muss auch mal loslassen", sagt der Senior, aber natürlich mischt er sich noch ein. 2009 zum Beispiel, als sein Sohn das Büro zu bauen begann, war er zunächst dagegen, fragte: Wozu? Er selbst hat jeden Tag auf der Baustelle gestanden. Haindl junior arbeitet und plant fast nur noch vom Schreibtisch aus, unter einem Porträt des Vaters, das der einst in Rom von sich malen ließ. Sein Baumeister macht die Entwürfe, einzelne Teile werden in der Werkstatt gefertigt, bis zu drei Monate lang, je nach Größe. Auf der Baustelle sind seine Mitarbeiter nur noch ein paar Tage. Der Vorteil von Holzbauten ist auch, dass es schnell geht, erklärt Haindl. Er hat neun Mitarbeiter und den Umsatz seit seiner Übernahme verdoppelt: von 700 000 Euro auf 1,5 Millionen. Sein Vater zeigt mittlerweile stolz Fotos auf den Klassentreffen der Zimmerer - vom Büro des Juniors.

1 / 3
(Foto: Renate Schmidt)

Sebastian Haindl (rechts) hat die Zimmerei von seinem Vater (links) übernommen. Mit dem Sohn steht schon der nächste Nachfolger bereit.

2 / 3
(Foto: Renate Schmidt)

Die tägliche Arbeit folgt zwei wesentlichen Schritten: Erst anzeichnen...

3 / 3
(Foto: Renate Schmidt)

...dann einpassen.

Der Tisch, auf den Haindl klopft, ist eine Besonderheit, denn er ist ausnahmsweise gekauft. Kann er das überhaupt, in einem riesigen Möbelzentrum einkaufen? Haindl lacht: Nur wenn es eine Massivholzabteilung gibt. Dann legt er eine dicke Mappe auf den Tisch, das Portfolio der Zimmerei. Haindl kümmert sich um alles. Meistens wollen seine Kunden Anbauten, Ausbauten, Modernisierungen, sie kommen in der Regel aus Erding und Freising. Seine Familie nervt es schon, wenn sie durch die Ortschaften fahren und Haindl hier nach rechts zeigt und dort nach links: "Das haben wir gebaut." Bürgermeister Hans Wiesmaier sagt: "Die Haindls machen das, was wir uns von den Familien wünschen: Sie arbeiten und leben hier." Und engagieren sich für die Gemeinde: Auf dem Dorfplatz wird in jedem Winter eine Plane ausgelegt und mit Wasser geflutet zum Eislaufen. Die Idee dazu hatten die Haindls.

Ihre Geschichte wäre so schon besonders genug: eine Familie, die mit ihrem Handwerk den Ort prägt. Doch dann setzen sich die Schwestern Gabriele, Lisa, Annemarie und Veronika zu Sebastian an den Tisch. Zwei- bis dreimal im Monat sind die Fünf unterwegs: als Geigenmusi Haindl. Auf der Zugspitze haben sie schon gespielt, im Fasching, auf Hochzeiten. Und hin und wieder auch vor der Kamera im Bayerischen Rundfunk wie im Oktober 2014. Dort standen sie in einem Wirtshaus im Halbkreis in der Mitte, alle in Tracht, drei Geigen, ein Cello, Sebastian mit Kontrabass, das Video kann man im Internet sehen. Sie spielen einen schnellen Zwiefachen, grinsen schon, weil sie ja wissen, was gleich kommt, und fangen an zu singen: "Brauch ma ned, brauch ma ned. No a Startbahn, braucht's bei uns ned!" Ein Protest gegen den Ausbau am Münchner Flughafen. Die Haindls und die Politik, das ist die nächste Geschichte.

Haindl junior war schon immer der, zu dem die Mitschüler sagten: "Jetzt sag du halt was." Er hatte noch nie ein Problem damit aufzufallen. In der Schule kannte ihn der Hausmeister, er rief, wenn er ihn sah: "Da kommt wieder der mit dem Hut!" Auch in seinem Büro trägt er ihn oft, den Zimmererhut mit langer Krempe. Auffällig und mitteilungsbedürftig: Natürlich landete Haindl irgendwann in der Politik. Schon der Senior saß im Gemeinderat, seinem Sohn sagte er: "Wenn man was ändern will, dann muss man sich engagieren." Der Junior zog für die CSU in den Kreistag ein, dort stimmte er auch mal für einen Vorschlag der Grünen, wenn er den wichtig fand. Und als die CSU den Ausbau der dritten Startbahn unterstützte, ohne das intern abzustimmen, da trat er aus. "Zwei reichen", sagt er. Ihm geht es um Nachhaltigkeit, Heimatpflege - und ums Prinzip.

Als die Sonne an diesem warmen Sommerabend untergegangen ist, verabschiedet sich Haindl junior. Nachdem er jeden Winkel seiner Zimmerei gezeigt und erklärt hat, geht es auf zehn Uhr zu. Eigentlich will er jeden Abend spätestens um sechs Uhr Schluss machen, um für die Familie da zu sein, seine Frau Renate, Katharina, 11, Sebastian, 9, und Maximilian, 7. Die drei lernen auch schon Instrumente und basteln mit Holz, sie sollen irgendwann die Familientradition fortführen.

Haindl senior geht, nachdem die Geschichte mit dem Ohrring erzählt ist, noch mal raus - zu den Haindl-Bienen, die gibt es auch noch. Und wenn er nach den Bienen gesehen hat, es mittlerweile finster ist am Hof, dann hat der Senior noch eine Aufgabe, darauf hat er sich mit seinem Sohn geeinigt. Ein wenig mithelfen will er schon noch, solange er noch kann. Als eine Art Hausmeister, wie er sagt. Und so lautet die Abmachung: Sebastian Haindl junior macht morgens die Türen auf. Und Haindl senior macht sie abends zu.

© SZ vom 12.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: