Seemannschor:Matrosen aus Bayern

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In Erding singen vierzig Männer Seemannslieder. Alle paar Jahre präsentieren sie ihr Repertoire den Nordlichtern auf Helgoland. Inspiration zur Gründung war das Stück "Der Untergang der Titanic"

Von Nadja Gabrych

Erding - Was auf den ersten Blick aussieht wie eine klassische Männerrunde, die sich mit Weißbier zum Fußballgucken verabredet hat, entpuppt sich im nächsten Moment als eine kräftige und präzise intonierende Gesangstruppe. Die "Sch"-Laute beim Einsingen klingen eingespielt und erinnern an das atemähnliche Geräusch einer alten Dampflok. Die kräftigen "Uh"-Rufe lassen erahnen, wie laut der 43 Mann starke Shantychor werden kann, wenn alle Seemänner an Bord sind. Währenddessen bringt eine Bedienung in Tracht immer wieder einige Gläser Bier in den Keller des Best Western Parkhotels in Erding. Das Bier wird von den Männern gekonnt im Takt entgegengenommen. Das Prosit "Ja wenn das so ist, dann Prost" wird um ein seemännisches "1, 2, 3, 4 Land in Sicht" ergänzt und von einem ordentlichen Schluck gekrönt. "Das hat die Tochter von unserem Chorleiter ihm mal zum Geburtstag geschrieben, ich glaube der 60. war's", erzählt Helmut Köllmberger, Organisator der lockeren Gesangstruppe.

(Foto: Thorsten Neidlein)

"Was die Münchner können, können wir auch." Dieser Gedanke bei der ersten Vorstellung des erfolgreichen Stücks "Der Untergang der Titanic" der Volksspielgruppe Altenerding war die Geburtsstunde des Erdinger Seemannschors. Das war im Jahr 1998. Der Münchner Matrosenchor gab beim dazugehörigen Hafenfest ein Konzert. "Aus Lust und Laune heraus", wagten, wie Köllmberger sagt, er und der frühere Chorleiter Peter Heger den ersten Schritt und beriefen für den November 1998 gleich eine Gründungsversammlung ein. Seitdem sind zwanzig Jahre vergangen, in denen sich der Chor von anfänglich acht Mitgliedern auf stattliche 43 Matrosen vervielfacht hat. "Ich habe am Anfang nicht geglaubt, dass es uns so lange geben wird", so Köllmberger. Im Keller des Gasthauses Mayr-Wirt in Erding fanden damals die ersten Proben statt und im Jahr der Gründung auch das erste Konzert.

Die Sänger werden von den schwebenden Tönen des Akkordeons begleitet. (Foto: Stephan Goerlich)

Inzwischen hat der Männerchor 76 Stücke im Repertoire, wobei von klassischen Shantys bis zu bekannten Liedern alles dabei ist. "Wir singen quer durch den Garten alles, was beim Publikum ankommt", sagt Köllmberger. Andi Knauer begleitet den Chor bei Proben und Konzerten mit seinem Akkordeon. "Der Andi ist unser jüngstes Mitglied und zieht unseren Altersschnitt etwas runter", scherzt Köllmberger.

Kraftvoll, laut und auf den Punkt singen Bass- und Tenorstimmen die Stücke bei der Probe mit, sodass es zumindest für Laien schon ziemlich bühnenreif klingt. Chorleiter Hans Richter weiß allerdings, dass die Männer es noch besser können, wie er sagt. Beispielsweise beim Steuermann-Lied aus der Oper "Der fliegende Holländer" von Richard Wagner. "Nach der Zeile 'Steuermann her! Trink mit uns' kommt ein Peng, da muss dann auch eine Pause sein", erinnert Richter. "Das Peng hab ich nicht gehört", ruft es scherzhaft aus den Reihen.

Der Chorleiter hat die vergnügte Männerrunde voll im Griff. Mit geübten Gesten koordiniert er die kräftigen Bass- und Tenorstimmen. (Foto: Stephan Goerlich)

Ohnehin herrscht eine ausgelassene und vertraute Stimmung bei der Probe, zu der sich die Männer alle zwei Wochen treffen. "Manchmal wird es bei so einer Chorstärke auch mal lauter", so Köllmberger. Beim Singen seien jedoch alle konzentriert bei der Sache. Wippende Füße und nickende Köpfe füllen den Raum. "Es geht uns ums Spaßhaben und Beisammensein", sagt Köllmberger. "Wir sind kein Verein, sondern eine lockere Gesellschaft aus Lust und Laune", ergänzt er.

In der Liederliste des Seemannschor Erding finden sich mit „Big Bomb Dolly aus Dover“ nicht nur Shantys, sondern auch Schlager wie „Mit 66 Jahren“. (Foto: Stephan Goerlich)

Die "lockere Gesellschaft" verlässt ein- mal im Jahr den heimischen Hafen für einen Ausflug zum Klosterbräu Seemannshausen in Gangkofen. Bei dem Ausflug dürfen dann ausnahmsweise auch die Seemannsfrauen mitkommen. "Wir sind ein reiner Männerchor und wollen das auch bleiben", so Köllmberger. Alle zwei bis drei Jahre können die Mitglieder beim Segeltörn zur Nordseeinsel Helgoland zusammen sogar eine richtig echte Brise Seeluft schnuppern. "Da legt jeder Hand an und arbeitet mit", berichtet Köllmberger. Das Konzert, das der Chor aus Bayern zum Abschluss der Reise auf der Insel gibt, ist für ihn immer wieder ein besonderes Highlight. "Die Kameradschaft ist wirklich einmalig. Bei uns sind alle gleich, es gibt keinen Unterschied zwischen Akademiker und Arbeiter."

Diesen Zusammenhalt hört man im harmonischen Gesang des Chors. Die rauen Seemänner können nicht nur laute Piratenlieder wie "Jan Peppermint" singen, sondern zeigen auch ihre zarte Seite bei romantischen Liedern wie etwa "Der weiße Mond von Maratonga". "Denkt dran, es ist eine Schnulze, zeigt Gefühl" mahnt Richter die Männergruppe. Der Chorleiter nimmt die Stücke auf, die in den Proben gesungen werden. "Dann kann ich zuhause noch mal in Ruhe drüber hören und auf Einzelheiten achten", so Richter.

Die sind bei Auftritten nämlich besonders wichtig. Regelmäßig gibt der Chor Konzerte in den Altenheimen in Erding und Dorfen. "Die Bewohner dort freuen sich riesig, und wir erleben ein sehr dankbares Publikum", so Köllmberger. Eines ist bei den Auftritten immer gleich: Das Lied "Anchors Aweigh, my boys", zu deutsch: "Anker lichten", wird bei jedem Auftritt gesungen. Der amerikanische Militärmarsch ist oft das Eröffnungslied des Seemannschors. Beim Jubiläumskonzert am 20. Oktober im Fischers' Seniorenheim in Erding wird der Marsch sicher auch zu hören sein. Die Vorbereitungen für den Auftritt haben begonnen und mit OB Max Gotz (CSU) gibt es einen passenden Schirmherr. Welche Lieder gesungen werden und wie das Programm konkret aussieht, steht noch nicht fest. Sicher ist aber, dass die insgesamt acht Mitglieder, die vom ersten Moment an und ununterbrochen beim Chor dabei waren, geehrt werden. Speziell dem Chorleiter Hans Richter und seinem Vorgänger Peter Heger möchte Helmut Köllmberger danken. "Ohne die beiden wäre das alles nicht möglich gewesen."

"Anfangs wurden wir belächelt", sagt Köllmberger. "Ein Seemannschor in Erding hält doch keine drei Monate, hieß es". Nach zwanzig Jahren "kommt da schon auch ein gewisser Stolz auf". Der Erdinger Seemannschor hat eine eigene CD und ist mit zwei Titeln auf einem Album mit den schönsten Shantys und Seemannsliedern vertreten. Dafür wurden von der an der Nordsee ansässigen EGM Medienproduktion 22 Lieder von mehr als 30 Shantychören aus ganz Deutschland ausgewählt. "Es hat uns riesig gefreut, dass wir so einen Anker gefunden haben", so Köllmberger.

© SZ vom 20.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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