Resozialisierung:"Ich muss ans Gefühl. Das ist mein Job"

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Sie muss beides sein: Überwacherin und verständnisvolle Zuhörerin. Die Bewährungshelferin Andrea Frauendorfer, die seit 29 Jahren Menschen hilft, dass sie Verantwortung für ihr Leben übernehmen. (Foto: Renate Schmidt)

Andrea Frauendorfer leitet die Bewährungshilfe Erding. Sie hilft Straftätern, wieder einen Platz in der Gesellschaft zu finden und findet dabei immer etwas, an das sie bei den Menschen glauben kann. Manchmal ist aber auch sie machtlos

Von Thomas Jordan, Erding

Die Sozialarbeiterin Andrea Frauendorfer (52) arbeitet seit 1991 in der Erdinger Bewährungshilfe, inzwischen leitet sie die Dienststelle, die zum Bezirk des Landgerichts Landshut gehört. Als hauptamtliche Bewährungshelferin hilft sie Straftätern dabei, in die Gesellschaft zurückzukehren. In Frauendorfers Büro liegt wenige Meter von ihrem schwarzen Chefsessel eine große Taschentücherbox parat. Oft brechen hier die Emotionen aus den Straftätern, ihren Probanden, wie es in der Justiz heißt, heraus. "Ich bin beides", sagt Andrea Frauendorfer, "das Amtliche und das Gefühl". Ein Gespräch über Prognosen über das Gute und die Vorzüge der Spießigkeit.

SZ: Frau Frauendorfer, zu Ihnen kommen Schwarzfahrer genauso wie Mörder. Was haben Sie in all den Jahren über Menschen gelernt?

Andrea Frauendorfer: Eigentlich wollen alle Menschen glücklich leben - manche suchen aber die falschen Lösungen.Da kann man ansetzen. Ich weiß jetzt, wie lange schlimme Erfahrungen, die Kinder oder Jugendliche machen, nachwirken. Es hört so lange nicht auf, bis man hinschaut.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen? Ein Proband hat sich immer wieder betrunken, die Polizei angerufen und Streit angefangen. Irgendwann wurde klar: Die Eltern hatten ihn als Kind zum Missbrauch freigegeben. Der kleine Bub war damals zur Polizei gerannt und hatte gesagt, ich mag nicht mehr nach Hause gehen. Die Polizei hat ihn zurück zu seinen Eltern gefahren, und die haben ihn verprügelt. Das war ein Trauma: Immer wenn er die Krise gekriegt hat, fing er noch als Erwachsener Streit mit der Polizei an.

Gibt es Fälle, bei denen auch Sie nichts mehr tun können?

Schwierig sind Pädophile. Die haben eine Prägung. Da kann ich dann nur noch überwachen.

Sie müssen Prognosen darüber abgeben, ob ein Straftäter rückfällig wird. Wie ist das möglich?

Ich kann in niemanden hineinschauen. Ich kann nur sagen, da bewegt sich etwas und jemand nimmt sein Leben wieder in die Hand. Oft stehe ich auch wie ein Coach neben den Leuten und bestärke sie, mutig zu sein, sich etwas zuzutrauen.

Woran machen Sie fest, ob jemand auf einem guten Weg ist?

Wenn die Probanden zu mir kommen, glauben sie oft nicht mehr, dass sie selbst etwas in ihrem Leben verändern können. Sie sehen sich als ein Spielball der anderen. Sie müssen wieder lernen, Hilfe anzunehmen. Das ist für viele Menschen ein großes Problem. Gerade für Männer. Das wichtigste ist für mich, dass jemand die Überzeugung entwickelt, sein Schicksal selbst in die Hand nehmen zu können. Es gibt aber auch noch andere Faktoren.

Zum Beispiel?

Hat jemand einen Beruf, eine Schulausbildung? Wie suchtnah ist er, kann er Kontakte halten, geht er offen und respektvoll mit anderen Menschen um? Es zählt auch, ob er mit uns zusammenarbeitet.

Wie schafft man es, dass Menschen sich wieder an Recht und Gesetz halten?

Ich glaube, dass jeder Mensch Teil der Gesellschaft sein möchte. Auch diejenigen, die laut schreien, dass sie es nicht wollen. Das ist ein großes Bedürfnis von jedem Menschen. Ich sag immer: Wenn man ein bisschen spießig ist, dann schauen nicht so viele auf einen. Und dann hat man auch mehr Freiheiten.

Und das klappt?

Viele Probanden erzählen mir, wie gut es sich anfühlt, wenn sie die Polizei vorbeifahren sehen und ein gutes Gewissen haben.

Sie arbeiten seit 1989 als Bewährungshelferin. Was hat sich seither verändert?

Als ich angefangen habe, waren Bewährungshelfer eher aufsuchend tätig. Wir hatten den Auftrag, 'mach den Mensch gut'. Daran verzweifelt man. Ich habe es ja nicht in meiner Hand. Der Proband hat immer ein Stück Eigenverantwortung: Es ist sein Leben, er darf es auch an die Wand fahren.

Hat sich der Menschenschlag verändert, der zu Ihnen kommt?

Es kommen immer mehr psychisch Auffällige, die eine Straftat begangen haben. Neue Drogen lösen zum Beispiel Schizophrenien aus. Das ist sehr belastend. Die Möglichkeiten, dass da jemand selbst eine Veränderung herbeiführt, werden dann geringer.

Wer zu Ihnen kommt, erfährt: Die Bewährungshelferin berichtet von den Gesprächen an das Gericht. Wie schaffen Sie es trotzdem, Vertrauen aufzubauen?

Ich muss ans Gefühl. Das ist mein Job. Dazu muss auch ich ein Stück weit offen sein, etwas von mir preisgeben. Ich kann nicht sagen, ich kann's und du kannst es nicht und ich zeige dir, wie es geht. Ich muss aber immer klarmachen: Es ist eine professionelle Beziehung, ich bin nicht die Freundin.

Wurden Sie schon einmal von einem Probanden bedroht?

Es gab einen, bei dem wusste ich, wenn er die Medikamente gegen seine Psychose nicht nimmt, wird er gefährlich. Er rennt dann mit Messern durch Erding und dann muss nur etwas Kleines passieren, schon ist er nicht mehr einschätzbar. Ich habe dann einen Bericht an einen Richter geschickt. Der hat dann diesen Bericht an den Probanden weitergeschickt. Und dann kam der Proband in meine Sprechstunde, und war richtig geladen.

Wie haben Sie die Situation gelöst?

Ich habe ihn niedergeredet und währenddessen habe ich versucht, ihn langsam zur Türe hinauszubugsieren. Als er dann über der Schwelle war, habe ich schnell die Tür zugeworfen.

Vor kurzem mussten in einer Flüchtlingsunterkunft in Aufkirchen mehrere Frauen und Kinder ausziehen, weil ein verurteilter Sexualstraftäter seine Reststrafe dort verbrachte. Ihre Dienststelle war die zuständige Bewährungshilfe.

Was mich gestört hat, war die massive Kritik an der Unterbringung. Was soll man denn machen? Der Mensch muss ja irgendwo wohnen. Man entscheidet Dinge, um mögliche Opfer zu schützen und dann heißt es, ihr seid unmöglich.

Können Sie verstehen, dass manche Leute besorgt waren?

Bei Menschen, die aus Ländern kommen, in denen permanent Krieg herrscht, es eine Sprachbarriere gibt und ein ganz anderes Frauenbild, da haben wir als Bewährungshelferinnen viel zu tun. Aber es gibt Realitäten, mit denen man umgehen muss.

Inzwischen ist der Täter wieder in Haft. Könnte es sein, dass er danach wieder zurückkommt?

Wenn jemand eine Strafe abgesessen hat, dann wird er entlassen. Grundsätzlich immer. Es könnte sein, dass er erneut Auflagen bekommt. So lange aber jemand nicht in die forensische Psychiatrie kommt, kann man ihn nicht dauerhaft wegsperren.

Wie erhält man sich in ihrem Beruf über all die Jahre die Motivation?

Ich finde immer etwas, an das ich bei den Leuten glauben kann

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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