Prozess:Aussage gegen Aussage

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Das Amtsgericht Erding spricht einen 30-Jährigen vom Vorwurf der Vergewaltigung frei

Von Thomas Jordan, Erding

War es der schreckliche Höhepunkt einer jahrelangen, tyrannischen Beziehung oder der Versuch einer Frau, ihren eifersüchtigen, ehemaligen Lebenspartner loszuwerden? Nach einer zähen, achtstündigen Verhandlung ist ein 30-Jähriger aus Kirchdorf an der Amper in einer Schöffensitzung des Amtsgerichts Erding vom Vorwurf der Vergewaltigung und der vorsätzlichen Körperverletzung freigesprochen worden.

Es war eine "klassische Aussage-gegen-Aussage"-Situation, wie der Vorsitzende Richter Björn Schindler bei der Urteilsbegründung sagte. Denn der Angeklagte bestritt die Vorwürfe vehement. Am Ende blieben aus Sicht des Schöffengerichts zu viele Zweifel an der Version der Geschädigten, die fünf Jahre in einer Beziehung mit dem Angeklagten gelebt hatte. Den tatsächlichen Ablauf zu ermitteln war auch deswegen schwierig, weil die ehemalige Verlobte des Angeklagten zum Zeitpunkt der angezeigten Vergewaltigung ein starkes Schlafmittel eingenommen hatte. Wie der Verteidiger des Angeklagten, der Landshuter Patrick Schladt, anhand eines medizinischen Gutachtens ausführte, könne dieses Schlafmittel insbesondere nachts zu Sinnestäuschungen und Unterscheidungsproblemen zwischen Wirklichkeit und Einbildung führen.

Das ehemalige Paar lebte im April 2017 in einer gemeinsamen Wohnung in Kirchdorf an der Amper im Landkreis Freising. Der 30-jährige Angeklagte arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Paketzusteller. Laut der Anklageschrift sei der 30-Jährige nachts von der Arbeit zurückgekommen, habe sich auf seine schlafende Verlobte gelegt und sei in sie eingedrungen. Obwohl die junge Frau dabei erwacht sei und weinte, habe der 30-Jährige nicht von ihr abgelassen. Hinzu kam, dass die Geschädigte aufgrund eines Unfalls einige Monate zuvor an Depressionen und Schlafstörungen litt und deshalb ihrem Verlobten klargemacht habe, dass sie zur Zeit keinen Geschlechtsverkehr möchte. Der Angeklagte sagte dagegen aus, er habe in dieser Nacht nur Essen in der Küche zubereitet, und seine Verlobte deswegen geweckt.

Auch in der Frage, ob es in der Beziehung der beiden öfter Streit gegeben habe, unterschieden sich die Aussagen der beiden grundlegend. Der Angeklagte sprach von einer "normalen Beziehung" die allerdings von den seit ihrer Kindheit auftretenden, heftigen Panikattacken seiner ehemaligen Verlobten geprägt gewesen sei, die bis zur Ohnmacht reichen konnten. Während der dreistündigen Aussage der jungen Frau, die als Nebenklägerin in dem Prozess auftrat, wurde die Öffentlichkeit auf Antrag ihres Anwalts ausgeschlossen. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung hatte sie allerdings angegeben, dass es schon vor der angezeigten Vergewaltigung massive Streitigkeiten und Gewalt zwischen den beiden gegeben habe. So habe sie der 30-Jährige, als sie ihn zu einem früheren Zeitpunkt verlassen wollte, in die gemeinsame Wohnung eingesperrt, mit der Drohung, ihr den Schlüssel erst wieder auszuhändigen, wenn sie es sich anders überlegt habe. Außerdem habe er sie fest an den Oberarmen gepackt, wodurch blaue Flecken entstanden seien. Auch hier stand Aussage gegen Aussage, denn kein Nachbar hatte von den Vorfällen etwas mitbekommen, worauf Amtsrichter Schindler bei der Urteilsbegründung hinwies. Auch in den Chatprotokollen zwischen den ehemaligen Lebensgefährten, die der Vorsitzende Richter verlas, war an keiner Stelle ein Hinweis auf eine Vergewaltigung oder auf körperliche Gewalt zu erkennen.

Deutlich wurde allerdings, dass der Angeklagte seine Ex-Partnerin verbal bedrohte hatte. So hatte der 30-Jährige, nachdem die junge Frau zu ihrem neuen Lebensgefährten gezogen war, Nachrichten an sie verschickt, in denen er ankündigte, er werde ihr "Albtraum" und "Quäler" sein.

Der neue Partner konnte vor Gericht nur aussagen, dass er ein Foto von blauen Flecken seiner Lebensgefährtin gesehen habe, und sie ihm auch von der Vergewaltigung erzählt habe. Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Geschädigten ergaben sich dann ausgerechnet durch eine ehemalige Freundin und Arbeitskollegin der jungen Frau, die von ihr eigentlich benannt worden war, um ihre Darstellung zu stützen. Amtsrichter Schindler verlas das Protokoll der polizeilichen Vernehmung dazu. Die Frau hatte zusammen mit der Geschädigten in einem Fast-Food-Restaurant gearbeitet. Der Angeklagte war dort oft nach der Arbeit mit Kollegen auf einen Kaffee vorbeigekommen.

Den 30-Jährigen habe sie dabei als "sehr anständig" und "noch nie aggressiv" erlebt. Auch die Beziehung der beiden habe sie, die sich laut eigener Aussage gegenüber ihrer Kollegin oft in einer Mutterrolle gesehen habe, als normal empfunden. Die Probleme der beiden seien ihr im Verhältnis zu ihren eigenen Problemen wie "Kinderkäse" vorgekommen. Weil sich die Geschädigte auch in der Reihenfolge der angezeigten Körperverletzung und des Einsperrens in der Wohnung in Widersprüchen verhedderte, blieben letztlich zu viele Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit, um den Angeklagten zu verurteilen. Ob die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Berufung einlegt, stand nach der Urteilsverkündung noch nicht fest.

© SZ vom 14.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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