Porträt:Ein Meister der Ironie

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Der Unternehmer Hermann Kraus macht den Anfang in der neuen Reihe "Erzählcafé" des Katholischen Bildungswerks

Von Jan-Hendrik Maier, Erding

"Mit neun Monaten bin ich von der Wickelkommode gefallen, einen Schaden habe ich wohl nicht davon getragen." Hermann Kraus lächelt verschmitzt, als er die Anekdote erzählt. Es ist nicht die einzige, an die sich der 72-jährige Geschäftsmann mit dem blauen Sakko erinnern wird. Mit ruhiger Stimme und reichlich ironischen Untertönen wird er in den kommendem zwei Stunden über sein Leben plaudern.

Mehr als 100 Menschen hörten ihm am Dienstagabend im Foyer des Museums Erding zu. Kraus machte den Anfang in der neuen Reihe "Erzählcafé" des Katholischen Bildungswerks (KBW).

Im Mai 1944 wurde Kraus "ganz ohne Arzt" im Haus der Eltern am Schrannenplatz geboren. Schon damals befand sich in dem Gebäude mit dem markanten Türmchen das familieneigene Textilwarengeschäft. Eine enge Bindung baute er zu der Säuglingsschwester auf, die, bis er im September 1950 in die Schule kam, mit im Haushalt lebte. Trotz den Wirren der Nachkriegszeit hätten sein älterer Bruder Uli und er eine "schöne, glückliche Kindheit" in Erding erlebt. Kraus erzählt gerne von seiner Zeit im Klosterinternat in Donauwörth, auch wenn es "gar nicht einfach" gewesen sei, mit zehn Jahren das vertraute Umfeld zu verlassen. So manchen Schluchzer habe er in den großen Schlafsälen, in denen bis zu 80 Betten standen, gehört. Strenge Disziplin - nach dem Abendgebet war jede Unterhaltung verboten - und eiskaltes Wasser hätten eine "Überlebensstrategie" erfordert und zu lebenslangen Freundschaften geführt. Ein Wermutstropfen für die jugendlichen Burschen: keine Mädchen weit und breit, bis auf das wenig attraktive Personal von der Reinigung. Erst während der Ausbildung zum Kaufmann sollte Kraus "die Entbehrungen des Internats", wie er augenzwinkernd sagt, nachholen. Letztlich wird er "dank einer hübschen Kollegin" fünf Jahre in Dachau bleiben. Doch bevor es für den damals 16-Jährigen losgehen konnte, stand eine wichtige Investition an: das erste eigene Moped, mit Soziussitz und Spitzentempo 50. "Wow!" Bis heute genießt er das Motorradfahren.

Im Sommer 1965 kehrte er auf Bitten der Mutter nach Erding zurück und übernahm das Modehaus. Voller Tatendrang und mit "jugendlicher Unbekümmertheit" plante er sofort einen Umbau des Ladens. Eine moderne Einrichtung und großflächige Schaufenster mussten her, das hätte dem "Zeitgeist" der späten 60er-Jahre entsprochen. Doch monierte sich nach der Eröffnung 1966 der Landeskonservator über "den ungeheuerlichen Eingriff in das Ensemble der Stadt", ist auch Kraus heute froh, dass die Fassade mit ihren kleinen Fenstern vor zehn Jahren wieder hergestellt wurde. Mit dem neuen Chef veränderte sich das Sortiment. Nach und nach verbannte er Herrenmode, Zigarren und Munition für Jäger aus dem Laden. Und noch ein Kuriosum führte man einst: Textilien für Särge. "Sicherlich harren auf dem Friedhof Sankt Paul noch einige ihrer Auferstehung in Sargwäsche aus dem Hause Kraus."

Obgleich ein ehrgeiziger Unternehmer, ist es Kraus stets wichtig, dass das Lachen nicht zu kurz kommt. Mehr als 25 Jahre war er mit dem Erdinger Fasching verbunden. 1968 führte er die Narrhalla als Prinz an, ein Jahr später ließ er die Tradition der Turmgespräche wieder aufleben. Humor bewies er als Schauspieler. Von 1981 an trat er mit der Volksspielgruppe Altenerding auf, einmal als Engel Gabriel mit "unglaublich hässlicher Perücke", und lange Zeit auch als Nikolaus. "Da musste man immer ein Schnapserl trinken - bei 35 Mandanten an zwei Tagen." Eng verbunden ist die Familie Kraus mit der Erdinger Feuerwehr. Der Urgroßvater war 1865 Gründungsmitglied und Urenkel Hermann schloss 100 Jahre später bei Alarmen die Wache im Frauenkircherl auf und räumte hinter den Kollegen her, die zu Einsätzen "auf dem Fahrrad und im Schlafanzug gekommen" seien.

Im Fasching 1970 lernte Kraus seine Frau Hermine kennen, die "frischen Wind in Haus und Laden" brachte. Nach der Heirat erlebte das junge Paar jedoch einen Schicksalsschlag: Sohn Stefan starb 1975 im Alter von nur drei Monaten den plötzlichen Kindstod. "Danach haben wir noch drei wundervolle Kinder bekommen." Nach 18 Jahren ging die Ehe in die Brüche. Hermann Kraus nimmt es mit Ironie: "Ich bin gut seitdem gut über die Runden gekommen und mit den Schlanken kam ich auch zurecht." Im Januar hat er nun die Geschäftsführung an seinen Sohn Wolfgang abgebeben, der das Modehaus in der 8. Generation leitet.

© SZ vom 14.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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