Mitten in Erding:Seelen zu verkaufen

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Der Weihnachtskommerz macht vor nichts halt

Von Gerhard Wilhelm

Sind wird doch mal ehrlich, Weihnachten ist schon längst kein Fest der Liebe mehr. Wer beim Datenkraken Google danach sucht, bekommt an erster Stelle eine Anzeige präsentiert: "Erlebnisgeschenke zum Fest". Und wenn es nicht um Geschenke geht, wird geschlemmt und getrunken, bis die Hosen- oder Blusenknöpfe abspringen. Besser, man zieht gleich was Stretchmäßiges an.

Wer durch die Erdinger Altstadt schlendert und hier und dort in Läden schaut, merkt schnell: heute kann man sich wirklich alles kaufen. Und tut es auch - ohne genauer zu hinterfragen. Vielleicht ist das auch besser so, denn so mancher Begriff ist doppeldeutig. Das fängt beim Metzger schon an. Ein delikater Rinderbraten oder ein Meisteraufschnitt? Wollen wir hoffen, dass den Aufschnitt nur der Metzger hergestellt hat. Dazu Wiener oder - je nach Herkunft- Frankfurter? Auch die Römer gibt es als Semmel. Und so ein leckerer Amerikaner ist auch bei jedem Bäcker zu haben. Ob der vorher Clinton gewählt hat und jetzt auswandern musste? Dafür sind Berliner in Bayern eher eine Rarität. In wenigen sogenannten Feinschmeckerrestaurants sind auch Schnecken auf der Speisekarte, aber die Zimtschnecke schleimt sich durch fast jede Bäckerei. Genau so, wie die Schweinsohren, die man eigentlich eher beim Metzger zu finden denkt. Und: ein Bienenstich kann sakrisch weh tun oder lecker schmecken. Sehr beliebt in der Weihnachtszeit: der Stollen. Nicht jeder Bergbauarbeiter hat gute Erinnerungen an Stollen.

Der Kommerz macht wirklich vor gar nichts Halt und das kann erschreckende Ausmaße annehmen, wo doch jeder weiß, dass es nur schlimm enden kann - zur Tragödie werden muss. In Erding kann man Seelen kaufen! "Jede einzigartig" wird der Verkauf angepriesen. Ist die Hölle überfüllt und der Satan hat in der Langen Zeile einen Outlet-Store aufgemacht? Und wer ist der arme Hund, der vielleicht seine Seele verkaufen musste, um alle Weihnachtsgeschenke bezahlen zu können? Es müssen viele sein, die keinen anderen Ausweg mehr sahen, um sich im Weltlichen nicht in den Ruin zu stürzen. Doch Obacht! Alles hat seinen Preis, wie auch Faust wusste: "Werd' ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn!"

© SZ vom 25.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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