Mitten in Erding:Moderne Technik im Gerichtssaal

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Wenn eine Schulklasse sich eine Verhandlung ansehen will, geht garantiert was schief

Von Thomas Daller

In Gerichtssaal ist kein Platz mehr frei; eine Berufsschulklasse ist mitsamt ihrem Lehrer zu Gast und sieht sich mal an, wie unsere Justiz in Erding arbeitet. Das kennen sie ansonsten ja nur aus Gerichtsshows, deren realistische Darstellung man durchaus bezweifeln darf. Diesmal also ein Fall aus dem echten Leben. Der Angeklagte wird in Handschellen vorgeführt, bis zum Prozessbeginn saß er in der Justizvollzugsanstalt Erding in Untersuchungshaft. Zwei Justizbeamte passen auf, dass er nicht türmt. Er soll als Lagerist seinen Arbeitgeber bestohlen haben. 32 Laptops im Wert von 14 500 Euro sind in einer Halle über Nacht verschwunden. Was der Angeklagte aber offenbar nicht wusste, war, dass die Halle mit modernster Technik überwacht wurde. Mehrere Kameras zeichneten auf, was in jener Nacht in dieser Halle vorgefallen war. Und zwar im Blu-ray-Verfahren; optisches Beweismaterial in hochauflösender Qualität. Ärgerlich ist es jedoch, wenn man keinen Blu-ray-Player hat. Die Richterin hat keinen in ihrem Büro und konnte das Material vorab nicht sichten, dem Rechtsanwalt erging es ebenso und der Staatsanwalt hatte auch noch keinen Blick auf die Aufzeichnungen werfen können. Aber dafür hat man ja Sachverständige und Gutachter. Der Sachverständige hat seinen Laptop dabei und ein nagelneues externes Laufwerk, dass er sich kurz vor Prozessbeginn noch rasch gekauft hat.

"Blu-ray!", schwärmt er, allerbeste Qualität. Allerdings bitte er um ein Verlängerungskabel, weil sein Laptop kaum noch Saft habe und sonst den Geist aufgebe. Eine Justizbeamtin flitzt los und bringt das Gewünschte. Alle sitzen nun gespannt da und warten darauf, dass die Filme vom Tatort gezeigt werden. Dauert aber noch, sagt der Sachverständige. Immerhin habe er 50 Gigabyte auf der Scheibe. Bis die auf den Laptop überspielt sind, könnte man vielleicht für zehn Minuten unterbrechen. Auch diesen Gefallen erweist man ihm notgedrungen. Allmählich rückt der Sachverständige dann damit heraus, dass er das komplette Rohmaterial mitgebracht habe, von allen Kameras und Aufnahmen der gesamten Nacht. In welchem Ordner oder Unterordner die Tat des Angeklagten zu sehen sein soll, davon hat er keinen blassen Schimmer. Allmählich dämmert es ihm selbst, dass das meiste unsortierter Datenmüll ist. Da erlöst ihn der Laptop: "Mein Cache-Speicher ist übergelaufen", sagt der Sachverständige. Er müsse wohl noch mal von vorne beginnen. Die Schüler auf den Zuschauerplätzen grinsen. Von denen hat wohl jeder schon mal auf einer X-Box gespielt, mit der man auch Blu-Ray schnell und problemlos abspielen kann. Nur so ein Opa, der noch dazu der Sachverständige sein soll, checkt's mal wieder nicht. Die Richterin schätzt die verfahrene Situation richtig ein und schlägt einen Ersatztermin in zwei Wochen vor. Das heißt, alle Zeugen müssen noch einmal kommen, der Angeklagte wird für weitere zwei Wochen wieder in U-Haft gesperrt und der Sachverständige kann inzwischen seine Hausaufgaben machen. Und was lernen die Schüler daraus? So was sieht man nicht bei Richter Alexander Hold im Fernsehen. Das würde ja doch keiner glauben.

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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