Mitten in Erding:Brauch und Strafmaß

Lesezeit: 2 min

Maibaumdiebstahl ist eine höchst delikate Angelegenheit

Von Gerhard Wilhelm

So mancher Zuagroaßte schüttelt angesichts des einen oder anderen Begriffs oder Brauchtums in Bayern den Kopf - "Ramadama mit Hilfe des Stopslklubs" zum Beispiel löste jüngst bei einer Kollegin aus Stuttgart Verwirrungen aus. Was der Burschenvereins Neufinsing vor kurzem zusammen mit den Burschenvereinen Ismaning und Unterföhring machte, aber eine noch größere: Warum stielt jemanden einen Maibaum, und wird dann auch noch als großer Held gefeiert, während andererseits Leute wegen des Diebstahls von einem Lippenstift vor dem Amtsgericht landen? Eigentlich könnte man die Kolumne jetzt mit den Worten "Mia san mia" schließen. Ist halt einfach so in Bayern, wo bekanntlich die Uhren anders ticken.

Genau genommen erfüllen Maibaumdiebe gleich mehrere Straftatbestände. Das mit dem Diebstahl ist klar, also greift Paragraf 242 des Strafgesetzbuches. Dazu kommt in der Regel Einbruch nach Paragraf 243, wenn der Diebstahl klappt; wenn nicht, ist es zumindest Hausfriedensbruch nach 123. Zudem wird die Tat in einer größeren Gruppe verübt, die sich dafür zusammengeschlossen hat - erfüllt ist Paragraf 244a, schwerer Bandendiebstahl.

Wer denkt, das war's - falsch gedacht. Das Diebesgut muss ja schließlich auch abtransportiert und in Sicherheit gebracht werden vor den wütenden Opfern. So ein 34 Meter langer Baum wie der, den die Finsinger gestohlen haben, passt ja nicht so einfach auf ein Autodach wie ein Weihnachtsbaum. Und dafür hätten die Burschen eigentlich die Genehmigung für einen Sondertransport auf öffentlichen Straßen gebraucht. Mit ordnungsgemäßer Absicherung durch Polizei, Feuerwehr oder THW.

Aber wer jetzt meint, in Bayern ist Brauchtum rechtsfreier, wilder Raum, der irrt. Auch Maibaumdiebe haben einen Kodex: Wer einen bereits als Maibaum ausgewählten Baum aus dem Wald klaut oder gar selber fällt, begeht Holzdiebstahl und riskiert eine Anzeige. Und ist der Baum erst einmal aufgestellt, darf er weder gefällt noch entwendet werden. Baumschmuck ist tabu. Zunftzeichen, Kränze und Bänder dürfen auf keinen Fall entwendet werden, nur der entastete Baum darf entführt werden. Als erfolgreich gilt ein Maibaumdiebstahl erst, wenn man es damit über die Gemeindegrenze geschafft hat. Wer vorher erwischt wird, muss den Baum wieder zurückgeben. Kampflos - ohne Wenn und Aber. Den Diebstahl bei der Polizei zu melden, gilt als ehrlos und man macht sich lächerlich - hätte man halt besser aufgepasst. Kurz gesagt: Maibaumstehlen ist in Bayern eine ehrbare Sache, die Mut, Geschicklichkeit und den Einfallsreichtum junger Burschen fördert. Man kann nicht einerseits von ihnen verlangen, dass sie mal ihren Hintern von der Playstation hochbringen sollen und sie dann bestrafen, wenn sie es dann mal tun.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: