Mitten in Erding:Anmache ohne Grenzen

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Journalisten haben ein feines Näschen für groben Unfug.

Von Wolfgang Schmidt

Es hat Vor- und Nachteile für den Journalisten, wenn er dort arbeitet, wo der Puls Erdings schlägt. Wenn er ganz viel Glück hat, dann erlebt er hautnah, wie Polizisten mit Gesichtsmasken in dunklen Limousinen mit Blaulicht und Martinshorn durch die Lange Zeile brettern, weil sie dem Haftrichter beim Amtsgericht Erding den Chef einer italienischen Rockerbande vorführen. Wenn die ÖDP an dem einschlägigen Infostand gegenüber die Lippen zum Küssen schürzen lässt, um gegen das Freihandelsabkommen TTIP zu protestieren, muss er noch nicht einmal aufstehen, um die übertriebene Fröhlichkeit mitzuerleben, wenn miteinander verheiratete ÖDPler sich ein Bussi geben. Wir haben sogar unsere Umweltministerin live und in Farbe in Diskussionen erleben können, als sie einfach noch die Frau Scharf von der CSU war.

Da jede Medaille zwei Seiten hat, kennt der Journalist selbstverständlich auch deren Kehrseite. Ja, er kann ausgesprochenes Pech haben. Und wenn es ein Tag ist wie der gestrige, dann hat er ganz viel Pech gehabt. Das begann schon mit dem Aufstellen des Infostandes. Pfeilgrad vor der Metzgerei mit angeschlossener Imbissstube hatte das Team sich formiert. Wir dachten uns gleich, wenn schon die Orientierung fehlt, muss das ein ziemlich dämlicher Haufen sein.

Journalisten haben ein feines Näschen für groben Unfug. Ja, hallo, was ist denn das für ein Farbtupfer hier in der Erdinger guten Stube, röhrte der eine Jüngling, der wie ein Flummi von links nach rechts, vertikal, horizontal und wer weiß sonst noch wie durch die Gegend schoss. Seine blonde Mitwerberin zeigte mit dem nackten Finger auf angezogene Leute und hauchte ihnen etwas ins Gesicht, was sie für ein Kompliment hielt. Und der dritte bewies einen Hang zum Todesmut, als er sich einem geschätzt 120-Kilo-Erdinger in den Weg stellte. Dessen Gesicht signalisierte von weitem: Hau mich bloß nicht an, du Kasperl.

Uns liegt nichts ferner, als einer guten Sache schaden zu wollen. Die besagten Typen waren, das sagten sie zumindest, für World Vision unterwegs und versuchten den Leuten weiszumachen, ihre Anmache in der Langen Zeile geschehe zum Wohle der Kinder in der Welt. Arme Kinder, arme Welt.

© SZ vom 11.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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