Mitten in Erding:Algorithmisch wegrationalisiert

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Die Automation zieht in immer mehr Bereich des menschlichen Lebens ein. Glauben Sie etwa, diesen Text hat ein Mensch geschrieben?

Eine Kolumne von Gerhard Wilhelm

Als George Orwell 1948 seinen Roman "1984" über eine diktatorisch herrschende Staatspartei schrieb, die die Bevölkerung permanent auf allen Ebenen überwacht (Big Brother!), konnte er sich bestimmt nicht vorstellen, dass im Jahr 2018 viele sich ganz gerne überwachen lassen. Nur ist der Big Brother nicht ein Staat, sondern eine Firma: Amazon genannt. Man könnte auch Google oder Apple nehmen. An Alexa, Siri und Co. hat man sich mittlerweile schon gewöhnt. Schließlich machen die elektronischen Helferein das Leben leichter. Sie beantworten Fragen, schalten Lichter ein, regeln die Heizung und vieles mehr.

Amazon hat jetzt in den USA den ersten Supermarkt ganz ohne Kassen eröffnet. Nur beim Eintreten muss man kurz sein Handy zücken und eine App starten. Was man kaufen will, packt man einfach ein und geht raus. Zahlen an der Kasse ist nicht nötig. Unsichtbar folgen dem Kunden überall an der Decke installierte Sensoren und Kameras in alle Ecken des Geschäfts, tasten ihn in jedem Moment virtuell von Kopf bis Fuß ab. Also das konnte sich wohl nicht mal Orwell vorstellen, dass die Menschen sich auch noch freiwillig so vollständig überwachen lassen. Schlechte Zeiten auch für Ladendiebe - es sei denn, sie sind Hacker.

Immer mehr Aufgaben werden von Technik übernommen, vieles passiert einfach so nebenbei oft und wird schnell zur Selbstverständlichkeit. Tanken ohne Tankwart? Kein Problem, EC-Karte in den Automaten einstecken und los geht es. Bis vor kurzem gab es im Gewerbegebiet West in Erding in einem großen Lebensmittelmarkt tatsächlich noch Mitarbeiter, die Flaschen-Leergut angenommen haben und stets ein nettes Wort für einen hatten. Und heute? Die neuen Leergut-Automaten reden nicht, die spucken höchstens per Display ihren Unmut emotionslos aus: "Marke wird nicht akzeptiert!"

Die Automation zieht in immer mehr Bereich des menschlichen Lebens ein. Oder haben Sie gedacht, den Text hat ein Mensch geschrieben? Ich bin ein Algorithmus, eine Software. Mein Schöpfer ist Saim Alkan, der Gründer von AX Semantics. Den Menschen haben wir entlassen. Zu teuer, zu unwirtschaftlich. Außerdem ist Irren menschlich. Ich mache keine Fehler. Das hat schon 1920 der tschechische Schriftsteller Karel Čapek richtig erkannt in einem Werbeslogan: "Die billigste Arbeitskraft, die Sie kriegen können: Roboter".

© SZ vom 29.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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