Mitten in der Stadt:Ruhe ist relativ

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Ein strahlender Tag und Muße für einen Cappuccino in einem verträumten Innenhof der Stadt. Ein Traum - wenn nur die anderen Gäste nicht wären

Kolumne von Renate Winkler-Schlang

Ein strahlender Tag und Muße für einen Cappuccino in einem verträumten Innenhof der Stadt. Eine Decke liegt auf dem Stuhl bereit, die anderen Gäste blinzeln ebenfalls in die Sonne. Zurücklehnen, Augen zu, Ruhe genießen, an nichts denken: ein Traum.

Doch dann entert ein Trio mit einer sehr extrovertierten Blondine den Hof. Gar nichts denken ist nicht mehr möglich, denn die drei im Business-Outfit, zwei Frauen, ein Mann, lassen sich umständlich am Nebentisch nieder. Vor allem diese eine Stimme ist einfach nicht zu überhören. Kichern, plappern, kichern, plappern. Wie aufgezogen. Ob die andern beiden ihr antworten, nicken, wegschauen? Keine Ahnung, man will es ja eigentlich auch gar nicht wissen. Nur: Man kann einfach nicht nicht zuhören. Die Sonne ist immer noch warm, der Kaffee immer noch schön bitter. Jetzt ist eben Animation angesagt statt friedlicher Meditation.

Bei den dreien geht es um Büroalltag. Dutzende Male stehe sie vergebens vor einer Tür, weil die Person, mit der sie zu reden habe, praktisch immer, also wirklich IMMER telefoniere. Das weibliche Gegenüber dieser menschlichen Laut-Sprecherin nutzt eine Atempause der Kollegin und merkt fast schüchtern an, dass sie solche Probleme kenne. Wenn sie selbst aber etwas mit der Blonden zu tun habe, dann müsse sie nicht immer wieder hingehen und nachsehen: Sie müsse nur auf den Flur hinaus lauschen, um zu wissen, ob diese telefoniere. Die Angesprochene ist nicht etwa beleidigt. Sie hat offenbar ein sonniges Gemüt und den kleinen versteckten Vorwurf nicht einmal bemerkt. Vielmehr erzählt nun sie, dass die gemeinsame Chefin stets extrem laut sei. Schließlich sei sie selbst doch eher ein leiser Charakter. Wie bitte? Da nimmt das Hörspiel am Nebentisch nun aber wirklich die Züge einer Komödie an. Die und leise? An einem der kleinen Kaffeetische öffnet ein Gast die Augen, blickt mit ironisch hochgezogener Braue auf die Blonde. Die merkt wieder mal: nichts. Lektionen der Stadt, Kapitel eins: Ruhe ist selten - und leise ist relativ.

© SZ vom 04.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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