Mitten in der Region:Stauschauen gegen die Langeweile

Wenn man im Restaurant nicht rauchen darf, erfindet man ein neues Hobby

Kolumne von Blanche Mamer

Die Straße ist eng, der Gehsteig auch. Der ist gerade breit genug, um an der Hauswand der dunklen Bar kleine runde Plastiktische und wacklige Stühle aufzustellen. Schon um zehn Uhr vormittags trudeln die ersten alten Männer ein, hocken sich hin, rauchen, schlürfen ihren Kaffee oder ihre erste Ombra, ein Gläschen Wein. Und schauen auf die vorbeifahrenden Autos oder einfach in die staubtrockene Luft. Frauen sitzen da nie, Touristen auch nicht. Wobei Letztere es doch typisch italienisch finden, wenn sie durch Kleinstädte in ihrem Lieblingsreiseland fahren. Jedenfalls ist diese Art von süßem Nichtstun, in unseren Breiten nicht üblich. Oder neuerdings doch?

Vor Kurzem, als der Stau in der Ortsmitte kilometerlang war und die Luft brodelte, stellte eine Mitarbeiterin vor einem Lokal direkt gegenüber der Kirche runde Tischchen und Korbstühle auf den Gehweg. Genau wie in Italien, akkurat mit dem Rücken zur Fensterfront und mit Blick auf die Straße. Irgendwann setzt sich ein junger Mann hin. Zieht seine Zigarettenschachtel heraus und pafft die Passanten an. Und betrachtet den Verkehr. Hin und wieder winkt ihm ein Autofahrer zu, der sich vor der roten Ampel langweilt oder der ihn vielleicht wirklich kennt.

"Ist der Mann gaga, oder warum schaut er die Autos an", fragt ein kleines Mädchen seine Mutter. Der Mann dürfe im Restaurant nicht rauchen, sicher sitze er deswegen draußen, glaubt die Frau Mama. Vielleicht aber hat er auch nur einen neuen Sport erfunden: Stauschauen. Der große Stau ist zwar vorbei, es gibt aber noch die üblichen kleinen - und rauchende Stauschauer.

© SZ vom 20.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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