Mitten in der Region:Schnarchen gegen den Zorn

Lesezeit: 2 min

Die uralten Weisheiten des Yoga sind ein sonderbarer Segen

Von CLAUDIA WESSEL

Ein Schnarchen aus dem Nachbarbüro? Das muss nicht das heißen, was fleißige Kollegen befürchten könnten. Nämlich dass ein Faulpelz es sich mal wieder allzu gemütlich macht. Vielleicht ist dieser Nachbar ganz im Gegenteil extrem fleißig und versucht, einige schwierige Fälle zu bearbeiten und dabei trotzdem ruhig zu bleiben.

Doch von vorne: Ein Nachmittag in einem Yogazentrum. "Die Überwindung von Ärger" heißt der Workshop, der angeboten wird. "Wir dachten, wir machen mal so einen kleinen Kurs", erläutert der Seminarleiter, ein Swami und somit eine Art "Mönch" des Yoga. Dass dann doch so viele gekommen sind, nämlich 20 Personen, bringt ihn zum wissenden Lachen: "Scheint ja doch viele zu betreffen." Auch er selbst übrigens kennt diese menschliche Schwäche trotz mehr als 15-jähriger Yoga- und Meditationspraxis durchaus. Auch die Kursteilnehmer sind alle fleißige Yogis und trotzdem offenbar noch immer umgetrieben von solch niederen Gefühlen.

"Wer ärgert sich über andere Menschen?", fragt der Swami einleitend. Alle Finger gehen hoch. "Wer ärgert sich über Dinge?" - niemand. Nicht einmal der einzige männliche Teilnehmer des Seminars scheint ein Problem mit immer roten Ampeln und ähnlichem zu haben. Also: Die bösen Mitmenschen sind das Hauptproblem. Nachdem dies schon mal erkannt ist, wartet man jetzt als betroffener Teilnehmer ungeduldig auf das wichtigste Thema: Schuld. Also die Schuld der anderen am eigenen Ärger. Denn dass es diese gibt, daran besteht ja wohl kein Zweifel. Man ärgert sich ja nicht einfach so, sondern weil man provoziert, beleidigt oder mies behandelt wird.

Jedoch meidet der weise Mann in Orange dieses Thema standhaft. Stattdessen lässt er doch glatt durchblicken, dass jeder, der sich ärgert, an sich selbst arbeiten müsse. Die Frage nach der "Schuld", sofern man dieses böse Wort überhaupt verwenden möchte, ist also eindeutig beantwortet: Sie liegt bei jedem selbst. Eine Schwäche des Geistes, welcher ohnehin das Sorgenkind eines jeden Yogis ist.

Wie aber soll man auf dessen fürchterliche Abwege reagieren? Da hat der Swami ein paar Sofortmaßnahmen auf Lager, die von seinem Meister stammen. Das Zurückrollen der Zunge etwa ist einer der Auswege - in dem Zustand kriegt man kein böses Wort heraus. Eine andere Möglichkeit lautet: Bis 20 zählen und schauen, ob man danach immer noch wütend ist. Oder eben die Sache mit dem Schnarchen - um sich selbst zu beruhigen, soll man beim Einatmen laut schnarchen, beim Ausatmen laut summen.

Hört man also den Kollegen nebenan schnarchen, kann man erleichtert sein. Denn es erspart einem selbst und anderen seinen Wutausbruch.

© SZ vom 17.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: