Mitten in der Region:Nöte eines Dolmetschers

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Die Gerichtssprache ist Deutsch - aber nicht immer

Von Alexander Kappen

Als Richter hat man es oft nicht leicht, sich einen Überblick über das Geschehen zu verschaffen. Zumal dann, wenn Angeklagter und Zeugen sich wahlweise an nichts, gar nichts oder - wenn's total blöd läuft - an überhaupt gar nichts erinnern können. Oder nur daran, dass das, was sie einen Tag nach dem betreffenden Vorfall bei der Polizei erzählt und mit ihrer Unterschrift bestätigt haben, natürlich völliger Humbug ist, wobei sie dummerweise aber nicht wissen, wie es nun wirklich war. Wenn zudem - wie kürzlich bei einem Prozess über einen Verkehrsunfall in Moosburg - die Beteiligten eine andere Muttersprache als Deutsch haben, kann es in so einer ohnehin kaum durchschaubaren Gemengelage jedenfalls nicht schaden, wenigstens die Gefahr von Verständigungsproblemen von vornherein zu bannen. Deshalb lud das Gericht einen Dolmetscher. Übersichtlicher wurde das Ganze trotzdem nicht.

Der Dolmetscher übersetzte dem Angeklagten die Fragen des Gerichts ins Türkische. Der wiederum antwortete teilweise auf türkisch, teilweise auf deutsch. Dann nahm der Dolmetscher seinen Stuhl, rückte zu einem Zeugen und übersetzte für diesen - ehe auch der mal auf deutsch und mal auf türkisch antwortete, bevor schließlich der Dolmetscher irgendwann ins Schleudern kam und nicht mehr so recht wusste, wem er jetzt eigentlich wann in welcher Sprache das erzählen sollte, an was sich im Zweifelsfall ohnehin alle miteinander nicht, gar nicht oder überhaupt gar nicht erinnern konnten.

Und dann, am Ende eines langen Verhandlungstages, als man gerade dabei war, die heiß gelaufenen Synapsen im Sprachzentrum auf Normaltemperatur herunterzukühlen, nahm der letzte Zeuge vor dem Richter Platz. Ein Italiener. Ohne Dolmetscher. Der konnte zwar ebenfalls wenig Erhellendes zum Sachverhalt beitragen. Aber das immerhin auf: bayerisch. Statt Flasche-leer-was-erlaube-Strunz-und-ich-habe-fertig-Rhetorik berichtete er in feinstem heimischem Idiom über "de Gerüchte, de hoid an mei'm Stammdisch verzäit wor'n san". Schöner hätte es kein Dolmetscher sagen können.

© SZ vom 18.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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