Mitten in der Region:Leckere Bremsschläuche

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Wir würden dem Marder ja gern ein Schrottauto hinstellen. Aber der will frische Ware

Von Wolfgang Schäl

Winterschlaf beendet! Jetzt flitzen sie wieder über die Autos, diese kleinen Teufel mit ihren runden, blitzenden Augen und den langen Pfoten, die der Zoologe der Familie der Dachse zuordnet, weil sie ebenso frech sind wie diese. Rein in die Schlammpfützen und rauf auf die Kühlerhaube, quer über Dach und Scheiben, hinten wieder runter und nach der Rutschpartie über den Kofferraumdeckel schnell noch unterm Auspuff durch. Mal schauen, ob es dort nicht ein paar leckere Bremsschläuche gibt oder Gummimanschetten, ausgehungert, wie man nach den kalten Monaten ist.

Frühjahrszeit ist Marderzeit, und man muss kein professioneller Spurenleser sein, um zu deuten, zu wem diese Pfotenbilder auf dem Autolack gehören. In diesen Wochen gilt es sich immer wieder neu zu entscheiden, ob man Liebhaber einer kratzfreien Lackierung ist oder doch Tierfreund. Zugegeben: Wir sind da hin- und hergerissen und verzeihen dem Marder spontan allenfalls dann, wenn er nur seine schnell aushärtenden Pfotenbilder und Köttel absetzt, ansonsten aber keine allzu tief gehenden Kratzspuren und Farbveränderungen hinterlässt, wie sie durch seine scharfen Verdauungssäfte schnell entstehen. Die braucht er unbedingt, denn wie schon angedeutet: Das Hauptnahrungsmittel des Marders sind ja Bremsschläuche.

Zu bedenken ist andererseits, dass wir, diesem durchaus eleganten Tier sei Dank, kostenlose Erkenntnisse im Spurenlesen erhalten, die uns der Natur wieder ein Stück näher bringen. So lernen wir den Weg des Marders über das Kraftfahrzeug präzise zu verfolgen: die hochtourigen Ruderbewegungen, derer es bedarf, um die glatte Kühlerhaube zu erklimmen, den entspannten Spazierschritt auf dem Dach bis hin zum gefahrvollen Abstieg über den Heckdeckel, der durch energische Bremsspuren dokumentiert ist. Klar, nicht jeder muss das spannend finden, und wir würden dem Marder als Kompromiss ja gern ein Schrottauto hinstellen, an dem er sich abarbeiten könnte. Aber leider ist dieser glutäugige Stadtbewohner nicht anders als wir: Er will immer frische Ware.

© SZ vom 26.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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