Mitten in der Region:In der Zwischenwelt

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Der Nachbar plauscht nicht mehr. Er winkt nicht mehr. Und er kickt auch nicht mehr. Er hat die Smartphone-App Pokémon Go

Von alexandra Leuthner

Ein paar Tage ist es erst her, da konnte man sich mit dem Nachbarn noch gut unterhalten. Er war ein umgänglicher Mensch, der freundlich grüßte und gerne mal auf der Wiese mit seinen eigenen und den Nachbarskindern Fußball spielte. Doch das ist jetzt vorbei. Man sieht ihn zwar noch über den Rasen wandern und möchte ihm winken, denn, hey, so ein Plausch zwischen Wocheneinkäufen und Kindertransportdiensten war immer eine erfreuliche Unterbrechung des durchgetakteten Tagesablaufs.

Doch der Nachbar plauscht nicht mehr. Er winkt nicht mehr. Und er kickt auch nicht mehr. Er hat sich stattdessen auf eine immerwährende Suche begeben, die ihn unsteten Schrittes und ruhelosen Blicks ins Nirwana einer Zwischenwelt geführt hat, aus der es, so scheint es, kaum ein Entrinnen gibt. Über sein Handy hat er sich infiziert mit dem Jagdfieber nach einem kleinen gelben Monster. Seit Mittwoch erst ist die Smartphone-App Pokémon Go, die Weiterentwicklung des zehn Jahre alten Nintendo-Konsolenspiels Pokémon, in Deutschland frei geschaltet, aber so schnell verbreiten sich noch nicht mal die unsäglichen Entgleisungen von Frau von Storch, wie es das Halali zur digitalen Jagd auf Pikachu und seine Verwandten in Feld, Wald und Wiese geschafft hat.

Gegen das neue Pokémonfieber, eine gefährliche Infektion von bisher ungekannter Verbreitungswucht, ist der Wahn, mit dem Käpitän Ahab hinter Moby Dick her war, nichts als ein Schnupfen. Vermutlich ist das Bewusstsein schon ausgeschaltet, wenn man die Pokemon Go-App installiert, anschließend aber auf jeden Fall. Da kann es schon mal passieren, dass zwei junge Frauen so ein kleines Monster unbedingt auf der anderen Seite einer Dorfstraße an der Landkreisgrenze fangen wollen, ohne rechts und links zu schauen. Es soll sogar Autofahrer geben, die das ge-appte Handy ans Lenkrad gebunden haben, um auch nicht eine Sekunde zu verpassen, in der solch ein glubschäugiges Kunst-Wesen auf Höhe ihrer Motorhaube auftauchen könnte. Auf jeden Fall scheinen die Biester jetzt schon auf Bundesstraßen in Bayern unterwegs zu sein, und ihre Jäger hoffen, ihnen mit ordentlich PS unter dem Sattel, leichter auf den Pelz zu rücken. Blöd nur, wenn die ersehnte Trophäe ein sogenannter Flegmon ist, ein Mitglied der Pokemonkategorie der Schnarcher - die heißen wirklich so. Denn dann geht es nur noch im Schnarchtempo weiter.

© SZ vom 20.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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