Mitten in der Region:Im Würgegriff des Efeus

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Den Verlust eines Fahrrades - schön, himmelblau, Marke Staiger, verdankt die Autorin einer Beere, schwarz und giftig

Kolumne von JUTTA CZEGUHN

Edward Lorenz, der amerikanische Meteorologe und Vater der Chaostheorie, starb 2008. Also rufen wir ihm ins Grab hinterher: "Mr. Lorenz, Sie haben verdammt recht gehabt mit Ihrem Schmetterlingseffekt!" Kleine Dinge können große Wirkungen haben, der Flügelschlag eines Falters einen Tornado auslösen... Ein solches Phänomen der nichtlinearen Dynamik hat am vergangenen Montag zum Verlust eines Fahrrades - schön, himmelblau, Marke Staiger - an einem Bahnhof in der Region geführt.

Voraus ging dem Ganzen, das ist ursächlich zu erwähnen, ein Starkregen am Samstagabend. Weil der Fahrradschuppen im Garten mit dem Handwerkszeug des Schreiners (neue Küche!) zugestellt war, musste das Radl die Nacht über unter den schützenden Zweigen des alten Birnbaums parken. Der Baum trägt schon lange keine Früchte mehr, weil ihn der Efeu fest im Würgegriff hat. Der wiederum protzt praktisch das ganze Jahr über mit saftig dicken, pechschwarzen Beeren, die sowohl Vögel als auch Schnecken verschmähen, weil sie so giftig sind. Auch das wird noch von Bedeutung sein.

Unter dieser dichten Decke aus Blättern und Beeren überstand das Radl den Regenschauer. Am Montag kam es wieder zum Einsatz. Ein Opernpremieren-Besuch stand an. Wie immer war man recht spät dran, also rasch aufs Rad und zum Bahnhof getreten, die dicke Fahrradstahlkette durch das Vorderrad und den Bügelparker geschlungen - aber dann, kein Klick, so sehr man es auch versuchte. Weil sich das Schloss einfach nicht schließen wollte, aber die Premieren-Uhr tickte, fasste man den fatalistischen Entschluss, die beiden Enden zumindest so zu drapieren, als ob. Was sollte schon passieren an einem lauen Feiertagsabend? Und in zweieinhalb Stunden - Kurzoper, die in einem sibirischen Straflager spielt - wäre man eh wieder zurück.

Die Oper war dann unterhaltsam düster, weit düsterer aber war hernach der Anblick des Radlparkplatzes in seiner beklemmenden Leere. Das blaue Fahrrad war verschwunden, doch die Kette mit dem kaputten Schloss hatte der Dieb wie zum Spott zurückgelassen. Zuhause wurde das Ding mit dem Schraubenzieher des Schreiners seziert. Eine Efeu-Beere hatte seinen Mechanismus verstopft.

© SZ vom 29.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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