Mitten in der Region:Hoch lebe das Klischee

Lesezeit: 1 min

Auf dem Land kennt jeder jeden

Kolumne von Anja Blum

Dass es sich in der Großstadt anonym lebt, auf dem Land hingegen jeder jeden kennt - so lautet ein Klischee, das je nach Vorliebe argumentativ in die eine oder ganz andere Richtung verwendet werden kann. Und es stimmt tatsächlich. In der Kleinstadt, zum Beispiel in einer Siedlung aus lauter alten Doppelhäusern, kommen sich die Bewohner unausweichlich näher, gerade im Sommer, und gerade am Wochenende. Selbst wenn die einen älter sind und die anderen noch jünger, selbst wenn der eine auf Volksmusik steht und der andere eher auf Jazz. Denn eines verbindet all diese Menschen: der eigene Garten.

Alle sind draußen und werkeln herum, schaufeln, jäten, schneiden die Hecke, erneuern den Zaun, errichten ein Gartenhaus oder misten ebenjenes endlich mal wieder aus - und all das unter den Augen der anderen. Darüber kommt man ins Gespräch, tauscht jede Menge Ratschläge aus und natürlich auch Gerätschaften. So braucht der eine Nachbar eine zweite Schubkarre, der nächste fragt nach einem Bolzenschneider. Und in den Container, der da so praktisch am Straßenrand steht, in den wandern die Gartenabfälle von überall her, nicht nur aus dem angrenzenden Grundstück. Auch eine Kuchenform wechselt an diesem Nachmittag übergangsweise die Besitzerin. "Ach, und könntet ihr vielleicht Mitte August unsere Blumen gießen? Das wär toll!"

Da blüht die Nachbarschaft auf, mindestens so bunt und schön auf wie die Phloxe hinter dem Gartentürl oder der Oleander auf der Terrasse. Und wenn dann zum Beispiel wieder einmal Bürgerfest ist, dann sieht man sich dort und stößt miteinander an, auf ein wahres, schönes Klischee, auf die gute Nachbarschaft! Welche Klänge dabei von der Bühne schallen, vermutlich weder Volksmusik noch Jazz, ist dann in diesem Moment, wie vieles andere, herzlich egal.

© SZ vom 26.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: