Mitten in der Region:Gehaltvoll reifen

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Das Leben ist schön, man muss es nur genießen können. Eine anspruchsvolle Aufgabe, die nicht leichter wird, je älter man wird

Von Alexandra Vecchiato

Es ist schon ein Kreuz mit dem Älterwerden. Irgendwann trifft es einen blitzartig, auch wenn man sich über etliche Jahrzehnte hinweg durchmogeln konnte. Man war gefühlsmäßig auf Mitte 20 stehen geblieben. Alt waren früher die anderen. Und jetzt? Aus und vorbei.

Mit 45 kommen die ersten nennenswerten Zipperlein daher, quasi über Nacht. Das geht dem Freundeskreis ebenso. Plötzlich beherrschen Geschichten über Krankheiten die gemeinsamen Treffen. Abendfüllend wird über diverse Leiden und minimalinvasive Eingriffe diskutiert. Etwas, was man bei seinen Eltern bestenfalls mit verdrehten Augen goutierte. Es wird von Jahr zu Jahr nicht besser. Sätze der Kosmetikerin im Salon wie "Was Sie sind schon 40. Mei, Sie haben aber die Haut einer Zwanzigjährigen und gar keine Falten" sind passé. Spätestens dann, wenn eben jene Kosmetikerin einem zum Wechsel der Tagespflege rät: "Jetzt brauchen wir schon was Gehaltvolleres. Das da wär für die reife Haut." Auch sind die Nachfragen bezüglich der Haarfarbe ("Was! Das ist die eigene. Da ist wirklich nichts gefärbt?") Geschichte, ziehen sich doch schön langsam die ersten grauen Strähnen deutlich übers Haupt.

Als würde es nicht reichen, wenn der Körper Verfallserscheinungen zeigt, auch die Umwelt macht einem klar und deutlich: Hey, die zweite Hälfte des Lebens galoppiert davon. Was war das früher ein Kampf, das Radio von Bayern 1 auf Bayern 3 umschalten zu dürfen, um Elmar Gunsch zu entkommen und Fritz Egner Hallo zu sagen. Nun laufen die Lieblingssongs aus den 80er-Jahren auf jenem verachteten Sender. Und Tommi Ohrner, der Fernsehheld der Kindheit ("Timm Thaler"), moderiert zu allem Überfluss das Ganze.

Bedeutet das nun Trübsal blasen bis ans Ende? Dieser Tage saß ein recht betagter Herr auf einer Bank. Schön sei das Leben, man müsse es nur genießen können, sagte er ungefragt, als wolle er intuitiv Trost spenden. Mit verschmitztem Lächeln fügte er hinzu: "Obschon Altwerden ganz schön scheiße ist. Aber was soll's."

© SZ vom 03.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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