Mitten in der Region:Die Stunde der Wahrheit

Lesezeit: 2 min

Nikolaus und das Christkind -zwei schöne Geschichten für Kinder. Aber irgenwann bricht jedes Lügengebäude zusammen

Kolumne von Alexandra Leuthner

Wundersam sind die Dinge, die um Weihnachten passieren. Da stapft am 6. Dezember der Nikolaus aus dem tiefen Tann heran, verteilt allüberall seine Säckchen. Das Christkind, das eben noch in einer weit, weit entfernten Galaxis aus dem Himmelstor geschaut hat, schafft es am Heilligen Abend in Überschallgeschwindigkeit zu uns und lässt es in allen Farben leuchten, welche die Geschenkpapierindustrie herstellen kann. Wir Erwachsene machen in diesen Tagen eine Wandlung durch, werden zum personifizierten Stress, um unseren Kindern den besonderen Zauber zu erhalten, den wir in Erinnerung an die eigene Kinderzeit heraufbeschwören und ignorieren völlig, dass, wie heute jeder weiß, die Geschenke von Santa und seinen Rentieren gebracht durch den Kamin geworfen werden. Wir lügen, dass sich die Balken biegen, und freuen uns wie die Schneekönige, wenn uns die Täuschung gelingt. Und dann das:

Bis der unter Zeitmangel leidende Nikolaus dazu übergangen ist, seine Säckchen nachts vor der Türe abzulegen, war er am 6. Dezember abends mit großem Gepolter ins Haus gekommen. Dass er eigentlich nicht Nikolaus hieß, sondern Matthias oder Sebastian, fiel den Kindern ebenso wenig auf wie die Tatsache, dass er unter seinem Bart manchmal dröhnendes Bayrisch sprach, manchmal aber leise sächselte, mal imposante 1,90 Meter maß und über 100 Kilogramm auf die Waage brachte, manchmal aber Gefahr lief, den roten Mantel mangels Masse zwischen Eingangstür und Wohnzimmer zu verlieren. Dieser Tage aber kam der ganze Skandal ans Licht: Der Nikolaus, erklärte der längst dem Babyalter entwachsene Erstgeborene seinem kleineren Bruder, der habe doch tatsächlich Turnschuhe getragen, und das entlarve ihn als Betrüger, eindeutig. Dabei versenkte er den Blick eines Zwölfjährigen, der längst alle Geheimnisse dieser Welt geschaut, tief in die Augen seiner Mutter. Während der Achtjährige kurz nachdachte, dann den Blick perfekt kopierte, und sagte: "Mama, das tut doch kein Nikolaus." Mama reagierte mit einem geheimnisvollen Lächeln. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Diesmal war es der Kleine, der glasklar analysierte: "Mama, wo hast du eigentlich den Goldstaub, den du immer ins Treppenhaus schüttelst und von dem du behauptest, er sei vom Christkind?" Mamas Lächeln gefror. Bis dann, einige Tage später sich der Kleine erneut zu Wort meldete, offenbar ließ ihm die Sache keine Ruhe. "Mama, mir ist klar, dass ihr die Weihnachtsgeschenke bei Amazon bestellt und unter den Baum legt", aber, setzte er hinzu, "wie bringst du den Goldstaub gleichzeitig ins Treppenhaus und in die Einfahrt?" Mamas Gesichtsausdruck wechselte von echter Überraschung zu beseelter Glückseligkeit. "Siehst du, das weiß ich tatsächlich auch nicht."

© SZ vom 06.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: