Mitten in der Region:Die Schamanin und die innere Mitte

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Wer täglich unterwegs ist, zur Arbeit in der S-Bahn, oder zum Einkaufen, kann viele Lebensweisheiten erfahren

Kolumne Von INGRID HÜGENELL

Meistens ist es eher ärgerlich, wenn auf dem Weg in die Arbeit die S-Bahn Verspätung hat. Zuweilen aber kommt es dann zu interessanten Begegnungen. Schließlich trifft man nicht jeden Tag auf eine Schamanin, schon gar keine, die in grauer Funktionskleidung mit Helm und Rennrad unterwegs ist. Gut, dass sie Schamanin ist, offenbart die Dame mit der grauen Kurzhaarfrisur erst nach drei, vier Stationen. Dann berichtet sie von den Kursen, die sie gibt, damit Menschen ihre innere Mitte finden können und die meist am Wochenende stattfinden, weshalb sie nun an einem Werktag hinausfahren kann aus der Stadt, um bei einer Radtour am Ammersee selbst zur Ruhe zu kommen.

Sie erzählt noch ein bisschen vom Mondkalender, der je nach Mondphase und Sternzeichen, in dem der Mond sich befindet, zu bestimmten Tätigkeiten rät, an diesem Tag dazu, sich Ruhe zu gönnen, und dann muss man leider in Bruck aussteigen. Hm, denkt man, während man trotz der Verspätung an einem jungen, wunderschön Gitarre spielenden Mann vorbei Richtung Büro schlendert, so ein Gespräch mit einer Schamanin in der S-Bahn kann einen ganz schön entstressen. Aber was wird der Chef sagen, wenn er erfährt, dass man sich Ruhe gönnen will, wegen des Mondes? Manche Empfehlung ist schwer umzusetzen.

Etwas später kommt es zu einer weiteren Begegnung: Vor dem Eingang zu einem Einkaufszentrum sitzt ein Mann und schimpft vor sich hin. Laut verkündet er in breitem Bairisch, dass er nimmer heim könne nach "Traustoa, wei do lauta Näga und Preissn san". Auweia. Ob diesem Krakeeler die Schamanin helfen könnte? Man weiß es nicht. Aber seine innere Mitte hat der arme Kerl bestimmt gründlich verloren.

© SZ vom 02.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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