Mitten in der Region:Der Sommer und der Jammerer

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Manch einer muss unaufhörlich meckern. Wie schlecht die Welt, das Leben und der Verkehr sind. Und der Sommer - unerträglich heiß. Ja, geht's noch?

Von OTTO FRITSCHER

Ja, es scheint draußen endlich mal wieder die Sonne. Unglaublich. Man hatte fast schon vergessen, wie sich Sommersonne anfühlt, auf der Haut, und im Gemüt. Umso schöner, dass jetzt die Jahreszeit des Schwitzens und Schwimmens wieder in vollen Zügen genossen werden kann. Das tut gut. Aber nicht allen. Offenbar geht es manchen Menschen zu gut. Denn wer kennt sie nicht, diese Spezies: den Sommer-Jammerer.

Sonst fehlt ihnen nichts, aber es ist ihnen einfach zu heiß. "Was? 25 Grad? Ja, sind wir denn hier am Äquator? Das halt' ich nicht aus!" Gesprächsfetzen, erlauscht in einer lauschigen Eisdiele, in der offenbar vom Sommer genervte Menschen viel Zeit verbringen, Eis essen, sich vielleicht einen Affogato gönnen und dabei unaufhörlich meckern. Wie schlecht die Welt, das Leben, der Verkehr und der Sommer sind. Ja, geht's noch? Offenbar ist es schon dem Vergessen anheim gefallen, dass der ganze Frühling ins Wasser gefallen ist, der April, der Mai und der Juni total verregnet waren, zumindest gefühlt in der individuellen Erinnerung.

Doch mit solchen Argumenten lässt sich ein Sommer-Jammerer nicht überzeugen. Er lässt sich eigentlich überhaupt nicht überzeugen, weil er nicht überzeugt werden will. Ist doch so schön, zu jammern. Wenn denn jemand zuhört. Gerne kann doch zu Hause bleiben, wer die Sonne nicht sehen will. Die Jalousien runter, und schon ist Ruhe. Und man kann sich in der Arbeit verkriechen, gibt ja genug im Sommer, weil die Kollegen im Juli und August im Urlaub sind. Sollen sie sich doch ihren Sonnenbrand holen. Der Jammerer ist schlauer: Er hat den Urlaub im November an der Ostsee gebucht, da ist der Strand bestimmt nicht überlaufen.

Aber was ist, wenn der Sommer sich dem Ende zuneigt, der Herbst wieder mit Regen, Nebel und Depression aufwartet? Dann müsste es dem Sommer-Jammerer eigentlich richtig gut gehen. Tut es aber nicht. Dann fängt er an, sich über die grauen Tage aufzuregen, und erzählt dann zu Weihnachten allen, die es nicht hören wollen, dass es im Urlaub an der Ostsee so verdammt kühl, kalt, grau und verregnet war. So wird aus dem Sommer-Jammerer mühelos ein Herbst-Jammerer, der schließlich zum Ganzjahres-Jammerer reift. Viel Vergnügen dabei. Aber wir hören einfach nicht hin.

© SZ vom 06.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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