Mitten im Landkreis:Geschüttelt, nicht gelaufen

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Der Stresslevel steigt. Am Nachbartisch sitzt eine junge Frau, irgendwas Mitte Zwanzig, und schüttelte sich permanent

Von CLAUDIA KOESTLER

Eigentlich ist nur aus den Augenwinkeln zu sehen, was für eine Tragödie sich am Nachbartisch abspielt. Ist es überhaupt eine? Den Anschein hat es jedenfalls zunächst. Wie es nun mal ist, je mehr man versucht wegzusehen, desto mehr nehmen die anderen Sinne das Geschehen auf. Und stellen die Frage, ob man Hilfe anbieten solle oder die Sache ignorieren. Der Stresslevel jedenfalls steigt.

Ein Café im Landkreis, die Sonne scheint, das Leben könnte schön sein. Aber am Nachbartisch sitzt eine junge Frau, irgendwas Mitte Zwanzig, und schüttelte sich permanent. Ganz besonders den linken Arm kann sie nicht ruhig halten. Den Kaffee vor sich aufnehmen? Schwieriges Unterfangen. Sie nimmt die Tasse immer wieder mit der rechten Hand auf, doch die linke schüttelt so stark, dass es auf den ganzen Körper ausstrahlt und den Kaffee fast überschwappen lässt. Das Bild schürt das Mitleid und die Demut der drumherum Sitzenden: So jung und schon solche Schüttellähmungen.

Doch dann kommen Freunde der jungen Frau an den Tisch, begrüßen sie eifrig und fragen für alle hörbar nach, was sie denn da so schüttle. Schon wird aus der vermeintlichen Tragödie eines jungen Lebens eine Farce der modernen Zeiten. "Meine neue Smart-Watch", antwortete die junge Frau. Sie stehe in einem Schrittduell mit ihrem Arbeitskollegen, und sie gönne ihm keinerlei Vorsprung. Wenn sie den neuen Minicomputer in Uhrform nur flott genug schüttle, registriere das Gerät das als körperliche Aktivität - und sie gewinne das Fitnessduell. Gemäß ihrer Smart-Watch, sprudelt sie weiter, sei sie sieben Kilometer gelaufen, obwohl sie, kicher, kicher, hier gemütlich im Café sitze. In Wahrheit sind die sieben Kilometer also zwei verschüttete Kaffees und ein Milchshake.

Bestimmt dauert es nicht lange, bis der kalifornische Technik-Konzern auf das Mogel-Modell reagiert. Hier schon mal ein praktischer Lösungsvorschlag: Kunden könnten mit solchen Schüttel-Schwindeleien und einer passenden App vielleicht nicht fitter werden, aber dafür das Café mit einer Ration Strom versorgen.

© SZ vom 20.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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