Mitten im Flughafen:Bedtime Storys für coole Kids

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Wenn Mom und Dad keine Lust aufs Selbstlesen haben, aber trotzdem punkten wollen, dürfen sie auf vorgesprochene Hörbücher zurückgreifen

Von Wolfgang Schmidt

Ganz früher war es so. Da saß die Mutter, ab und an auch mal der Vater, am Bett des Kindes und damit dieses endlich einschläft, wurde ihm eine Geschichte vorgelesen. Waren Papa und Mama beide verhindert, hat den Job die Oma übernommen. Das ging deshalb, weil es eine Zeit gab, in der die Omas noch im gleichen Haus wie die Enkel wohnten. Das Vorlesen war manchmal ein mühsames Geschäft. Denn wenn die lieben Kleinen partout nicht wegdämmern wollten, dann nutzte die beste Geschichte und die ausgefeilteste Erzähltechnik nichts. Deshalb hat der Mensch das Sandmännchen erfunden. Das brachte via Fernseher eine Gute-Nacht-Geschichte mit, die immer mit den Worten begann, dass die lieben Kinder fein acht geben sollten. Das haben die tatsächlich gemacht - und wollten nach dem Sandmännchen schon gleich gar nicht mehr ins Bett.

Der Sandmann durfte in das neue Jahrtausend noch hineinschnuppern, dann hatte er ausgedient, wohl wegen des oben beschriebenen Effekts. Das war auch gut so. Denn wer wollte heutzutage mit gutem Gewissen unseren Kindern so einen Langweiler vorsetzen, der "ganz sacht herbeischwebt" und dann einfach nur loslabert, unterstützt von öden Zeichentrickbildern. Wo bleibt denn da die optische Message?! Hin- und herwischen konnte man den ulkigen Typen auch nicht. Und weil die Oma inzwischen im Altersheim wohnt, finden heutzutage die Eltern, wenn sie spätnachts todmüde nach Hause kommen, ihren Racker friedlich schlafend vor dem eingeschalteten Computer vor.

Bis gestern hatten wir diesen Lauf der Dinge zwar mit Bedauern aber als gottgegeben hingenommen. Bis uns der Flughafen und die Lufthansa auf ihre "Bedtime Storys für himmlische Kinderträume" aufmerksam machten. Die Geschichten - pardon: Storys - kommen von einer "Moonbase", wie das mobile Tonstudio heißt, aus dem Mama und Papa ihren Kleinen vor dem Abflug noch eine Geschichte vorlesen, die als Audiodatei per E-Mail nach Hause geschickt werden kann. Wenn Mom und Dad keine Lust aufs Selbstlesen haben, bei ihren coolen Kids aber trotzdem punkten wollen, dürfen sie auf vorgesprochene Hörbücher zurückgreifen. Zur Tarnung können sie auf der Tonkonserve ein Foto von sich installieren. Persönlichen Touch sollte die Bedtime Story ja auf jeden Fall haben.

Einen unschätzbaren Wert hat die High-Tech-Märchenstunde im Erdinger Moos aber trotzdem. Der Unfug hat am 29. Dezember ein Ende. Und dabei sollte es auch bleiben.

© SZ vom 11.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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