Mitten im Amtsgericht:David gegen Goliath

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Zwischen einem Streit mit anderen und dem Aufwachen in der Zelle: ein großes schwarzes Loch im Gedächtnis.

Glosse von Gerhard Wilhelm

Wenn man aus seinem Herzen keine Mördergrube macht, meint die Redewendung, dass man kein Blatt vor den Mund nimmt, man spricht frei heraus, was man denkt. Erlebt man vor Gericht nicht gerade oft, aber diesmal redete ein als Zeuge aussagender Polizeibeamter sozusagen "Klartext", was in der Kurzfassung darin gipfelte, dem Angeklagten einen eindringlichen Rat zu erteilen: "Wenn man keinen Alkohol verträgt, sollte man keinen trinken."

Alkohol hatte der 26-jährige Angeklagte am 1. Oktober 2020 genügend intus: 2,37 Promille zur Tatzeit gegen 19 Uhr am Erdinger Bahnhof. Dazu Cannabisabbauprodukte von einem Joint am Vortag. Vor Gericht stand er wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, sprich Polizisten, versuchter Körperverletzung und Beleidigung. Erinnern konnte sich der 26-Jährige nicht mehr an den Vorfall. Zwischen einem Streit mit anderen und dem Aufwachen in der Zelle: ein großes schwarzes Loch im Gedächtnis.

Das konnte der Polizist füllen. Und er sparte nicht mit drastischen Worten. Kaum habe er sich als Polizist ausgewiesen, sei der Angeklagte "voll auf 180" gewesen und habe ihn weggeschubst. Worauf man ihn in Handschellen letztlich ins Polizeiauto schaffte. Er sei nicht zu bändigen, sei "out of order" gewesen, sagte der Beamte. Auf drei Minuten "normal" seien eine halbe Stunden lang immer wieder spontane Ausbrüche gekommen und er habe versucht, ihn zu schlagen. Alleine mit den Schimpfwörtern, die der Angeklagte für sie gehabt habe, hätte er zwei Seiten füllen können.

Auf die Frage, wie massiv seine körperlichen Attacken gewesen sei, meinte der Polizei lakonisch: "Ja mei, vom Kopf her bei ihm war es schon massiv. Aber objektiv nicht." Und wer sich den schmächtigen Angeklagten und den kräftigen, viel größeren Beamten ansah, wusste, warum er das gesagt hatte und auch keinerlei Verletzungen davon trug. David ohne Steinschleuder gegen Goliath. Das Urteil, acht Monate Freiheitsstrafe, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung, akzeptierte der 25-Jährige noch im Gerichtssaal.

© SZ vom 20.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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