Maulkorb-Streit:Gerichtsmassig

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Die Klage von Landrat Martin Bayerstorfer gegen Kreisrat Stephan Glaubitz rührt am Demokratieverständnis. Kurz bevor der Prozess richtig losgeht, nimmt der Freistaat das Verfahren gegen den kritischen Kommunalpolitiker zurück

Von Thomas Daller, Erding

Ein Rechtsstreit, der auch als Maulkorb-Streit bekannt geworden ist, sorgt landesweit für Interesse und Empörung: Es geht um die Klage, die Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) gegen den Grünen-Kreisrat Stephan Glaubitz angestrengt hat - und auch um den Streitwert der Sache, der auf 91 000 Euro veranschlagt wurde. Wenn das Landratsamt beziehungsweise der formal damit beauftragte Freistaat den Fall gewonnen hätte, hätte das eine einschüchternde Signalwirkung auf andere ehrenamtliche Kommunalpolitiker gehabt. Daher auch das große überregionale Interesse. Kurz bevor es am Landgericht Landshut richtig los ging - der erste Verhandlungstermin im Februar stand schon fest -, zog der Freistaat die Klage dann doch zurück. Der Staat muss die gesamten Kosten des Verfahrens übernehmen, der Fall endete als Rohrkrepierer.

Losgegangen ist alles mit kritischen Äußerungen von Kreisrat Glaubitz zur Asylpolitik im Landkreis Erding. Sie waren eigentlich nicht besonders ungewöhnlich. In den vergangenen zwei Jahren stritten Politiker in Berlin und vielerorts im Deutschland über den Umgang mit Flüchtlingen. Glaubitz erhob in der Asyldebatte starke Vorwürfe gegen das von Bayerstorfer geleitete Erdinger Landratsamt: Es würden hier viel zu wenig Arbeitserlaubnisse erteilt und eine große Anzahl von Anträgen pauschal verweigert werden.

Der Streit begann im Kreistag, verlagerte sich in dann aber in ins Internet. Tatsächlich war Glaubitz Kritik mitunter nicht nur scharf formuliert, sondern offenbar auch sachlich in einzelnen Punkten nicht ganz zutreffend. Im Kern ging es ihm jedoch um die offensichtlich besonders restriktive Erdinger Behördenpraxis: Während zum Beispiel das Landratsamt München damals deutlich mehr Genehmigungen von Arbeit für Flüchtlinge aussprach, versagte damals die Ausländerbehörde Erding überwiegend die Arbeitserlaubnisse. Dass er der Erdinger Ausländerbehörde dabei Willkür vorgeworfen hatte, wollte Landrat Bayerstorfer auf seinen Mitarbeitern nicht sitzen lassen. Die öffentlichen Angriffe würden zu einer starken psychischen Belastung der Mitarbeiter führen. Glaubitz relativierte daraufhin Teile seiner Kritik und korrigierte sie unter dem Titel "So ist es richtig" im Internet. Das reichte dem Landratsamt allerdings nicht aus. Es beschritt den Klageweg, der dann formal vom Landesamt für Finanzen geführt wurde.

Eine nicht unwesentliche Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung des Falls spielte auch der extrem hohe Streitwert von 91 000 Euro. Glaubitz' Anwalt Jerzy Montag hat errechnet, dass auf seinen Mandanten nach drei Instanzen 45 000 Euro zukommen könnten. Glaubitz ist Musiker. Montag bezeichnete das Vorgehen als Versuch, einen Kritiker der Asylpolitiker nicht nur zum Schweigen zu bringen, sondern ihn auch ökonomisch in die Knie zu zwingen. Montag kritisierte zudem, dass der Landrat kein persönliches Risiko trage - für die Gerichtskosten muss im Falle einer Niederlage der Freistaat aufkommen. Und falls das Landratsamt gewinnen würde, könnten die Spitzen der Rathäuser und Landratsämter so künftig eine Drohkulisse für sie lästige Oppositionspolitiker aufbauen. Die Grünen im Landtag reagierten darauf mit einer Anfrage an die Staatsregierung, ob sie in dem Fall nicht eingreifen wollten. Nach einer abschlägigen Antwort befasste sich auch das bayerische Fernsehen in der Sendung "Quer" mit dem Fall. Der Beitrag wurde unter dem Titel "Herrschafts-Zeiten: Erdings Landrat und sein Umgang mit Kritik" gesendet.

Kurz vor dem geplanten Verfahrensauftakt hat der Freistaat dann seine Klage gegen Glaubitz zurückgezogen. Die Vereinbarung, die den Gerichtsstreit beendet, umfasst im Wesentlichen zwei Punkte: Glaubitz musste in der Kreistagssitzung eine Erklärung verlesen, dass er die Mitarbeiter der Ausländerbehörde nie diffamieren wollte und er davon ausgehe, dass sie die jeweiligen Weisungen des Innenministeriums einhalte. Zweitens verpflichtete sich der Freistaat in der Vereinbarung, die kompletten Verfahrenskosten zu tragen. Diese Kostenübernahme bezeichnete Montag als Niederlage des Freistaats.

© SZ vom 27.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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