Literatur in Erding:Große Bühne

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"Der falsche Schah" von Leonhard F. Seidl ist ein Schelmenroman über persisch-deutsche Geschichte

Von Florian Tempel, Erding

Leonhard F. Seidl hat seinen fünften Roman veröffentlicht. Die vier ersten waren akribisch recherchierte, politische Kriminalromane. In "Fronten" hatte er zuletzt den Amoklauf in Dorfen 1988 aufgegriffen und auf der Basis der realen Ereignisse eine kunstvoll verwobene, neue mörderische Geschichte geschrieben. In "Der falsche Schah" nimmt er sich nun erneut wahre Geschichte vor, um mit großer Fantasie und schriftstellerischer Freiheit eine lesenswerte Parabel über Schein und Sein zu erzählen.

Diesmal ist aber kein Krimi daraus geworden, auch wenn es stellenweise brutal zugeht. Die Erfolgsautorin Tanja Kinkel, Spezialistin für historische Stoffe, hat prägnant auf den Punkt gebracht, was für ein Buch Seidl vorgelegt hat: "Ein Schelmenroman, bei dem einem das Lachen im Hals stecken bleibt, ein fränkisch-bayerisch erzähltes Münchhausen-Märchen mit scharfen Wahrheiten nicht nur über persische und deutsche Geschichte."

Die reale Grundlage für Seidls Roman ist der Besuch des Schahs Reza Pahlavi und seiner dritten Frau Farah Diba in Deutschland 1967. Es gibt einen Dokumentarfilm dazu mit dem treffenden Titel "Der Polizeistaatsbesuch". Das persische Kaiserpaar traf am 27. Mai 1967 am Flughafen Köln-Bonn ein, wo es von Bundespräsident Heinrich Lübke, Bundeskanzler Georg Kiesinger und Außenminister Willy Brandt empfangen wurde. Mehr Ehrbezeugung ging nicht, die Granden der Bundesrepublik sonnten sich im Glanz des Kaiserpaars. Es folgte ein Reise durch die Bundesrepublik im Sonderzug und über abgesperrte Autobahnen. Am 30. Mai kamen Reza Pahlavi und Farah Diba nach Rothenburg ob der Tauber. Hier jubelte die Bevölkerung den Gästen auf dem Balkon des Rathauses zu, die Blasmusik spielte und eine Volkstanzgruppe tanzte. "Altdeutscher Frohsinn empfing das orientalische Kaiserpaar in der bundesrepublikanischen Märchenstube Nummer eins", hieß es in der Neuen Wochenschau, Rothenburg machte die Gäste "mit deutscher Folklore bekannt." Drei Tage später in Berlin sah alles ganz anders aus. Dort protestierten Studenten gegen den Schahbesuch. Polizisten kesselten die Demonstranten ein und verprügelten sie, der Student Benno Ohnesorg wurde erschossen. Der 2. Juli 1967 ist ein einschneidender Tag der bundesdeutschen Geschichte.

Seidl bleibt mit dem Schauplatz seines Roman zwischen Bonn und West-Berlin im Provinzstädtchen Rothenburg, das oberflächlich bieder daherkommt, gleichwohl ein ziemlich finsterer Ort sein kann. Der Protagonist seines Romans, Schuldirektor Bartholomäus König, ist am selben Tag wie der Schah geboren und sieht ihm zum Verwechseln ähnlich. Am Tag des Schahbesuchs ergreift er eine einmalige Gelegenheit.

Autor Seidl baut mit abwechselnd gesetzten Kapitel das fiktive Geschehen beim realen Schahbesuch mit Rückblenden in das bisherige Leben des kühnen Bartholomäus König und seines Doppelgängers Reza Pahlavi zusammen. Der Leser lernt so episodisch den deutschen Titelhelden kennen und wird parallel dazu auf dem Laufenden gehalten, wie es derweil dem Schah als Kind und Jugendlichen, jungen Mann und schließlich skrupellosen Potentaten ging. Wesentliche Nebenfiguren beim Schahbesuch in Rothenburg sind persische Agenten, die in einem mittelalterlichen Folterkeller hinbiegen, was durcheinander geht.

Der Roman "Der falsche Schah" ist bei einem Stipendienaufenthalt Seidls in Rothenburg entstanden. Zum 100. Geburtstag hatte das Mittelalterliche Kriminalmuseum Rothenburg ein Literaturstipendium ausgelobt und an Seidl vergeben. Wie anregend die Ausstellung von Folterwerkzeugen im Museum war, mit Daumenschrauben, Schandmasken, Streckbank und einer Eisernen Jungfrau, kann man nun nachlesen.

Der 44-jährige Seidl, der in Isen aufgewachsen ist und seit mehreren Jahren in Franken lebt, aktuell in Fürth, hat für seine literarischen Arbeiten in den vergangenen Jahren zahlreiche Preise und Stipendien erhalten. Allein in diesem Jahr war er neben seinem Aufenthalt in Rothenburg auch Turmschreiber der Stadt Abenberg, Stipendiat in Lettland und des Nationalparks Austria Medienstipendiums.

© SZ vom 19.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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