Lesen in den Zeiten der Pandemie:Ein Ort der Kommunikation

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Als die Büchereien wieder öffnen durften, war die Dankbarkeit groß und der Ansturm der Kunden ebenfalls. Dass sich die Besucher nicht mehr so viel Zeit lassen wie früher, ist aber nicht die einzige Veränderung

Von Irem Özkalgay, Erding

Als ein Ort der Kommunikation versuchen die Büchereien im Landkreis Erding trotz verschärfter Regelungen und der Konkurrenz durch elektronische Medien den Menschen weiterhin einen Ort zum Stöbern und Verweilen zu bieten. Das Ausleih- und Leseverhalten hat sich aber den Büchereileiterinnen zufolge seit dem Ausbruch der Coronapandemie und besonders seit der 2G-Regel deutlich gewandelt. Abgesagte Veranstaltungen und ein leeres Lesecafé in der Stadtbücherei Erding hindern die Leiterin Ingrid Müller-Heß aber nicht daran, weiterhin für ihre Kunden da zu sein und sie zum Lesen und Ausleihen zu motivieren.

"Momentan boomt Fantasy sehr stark bei den Kindern", sagt Ingrid Müller-Heß, die Leiterin der Stadtbücherei Erding, "Erwachsene bevorzugen Krimis und Familienromane." Neben Büchern, Zeitschriften und Hörbüchern kann man hier auch Brettspiele, Konsolenspiele und E-Medien für Tablets oder Smartphones ausleihen. Über die Plattform Leo-Süd können sich die Nutzer für digitale Bücher entscheiden. Die haben vor allem während der Pandemie an Beliebtheit gewonnen. "Etwas schade ist das schon, denn von den digitalen Ausleihen bekommen wir in der Bücherei gar nichts mit, das geht alles online", sagt Müller-Heß. Die Interaktion mit den Kunden habe ihr auch während der beiden Schließungen in den vergangenen Jahren der Pandemie gefehlt. "Die Leute waren aber dankbar, dass sie wenigstens über Click und Collect Bücher ausleihen durften." Somit habe sie die Nachfrage befriedigen und die Kunden glücklich machen können.

Was soll man lesen? Links in diesem Regal in der Stadtbücherei Erding stehen dystopische Romane. Vielleicht doch lieber Fantasy oder Science Fiction? Passt alles in die Zeit. (Foto: Renate Schmidt)

Da das Ausleihen über Click und Collect nicht das gleiche ist wie selbst zwischen den Bücherregalen zu stöbern, seien die Leute umso froher gewesen, als die Büchereien wieder aufmachen durften. "Man hat einfach gemerkt, wie wichtig diese Einrichtung ist. Denn die Leute kamen immer wieder zu mir und sprachen ihr Glück aus", sagt Müller-Heß.

Auch in der Stadtbücherei Dorfen hat man nach den Wiedereröffnungen einen großen Kundenansturm bemerkt. "Die Leute waren froh, dass wir endlich wieder offen hatten", sagt die Büchereileiterin Birgitt Kukla. Hier seien bei den Kindern und Familien zuletzt vor allem die Tonie-Boxen und Figuren, Tiptoi-Stifte und Bücher sowie Sami, der Lesebär beliebt. "Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Kinder sehr viel zuhause sind und Beschäftigung brauchen", glaubt Kukla.

Seit dem 24. November greift auch in Bibliotheken und Büchereien die 2G-Regel. Seither bemerkt die Leiterin der Stadtbücherei Erding einen starken Einbruch an Ausleihen. "Uns fehlen so etwa 20 000 Ausleihen, vor allem bei den Kindern ab 14." Wenn Kinder dieser Altersgruppe nicht geimpft oder genesen sind, dürfen sie die Bücherei nicht betreten. Dabei leihe diese Altersgruppe zwar schon immer weniger Bücher aus, doch zumindest habe sie gerne die Arbeitsplätze im ersten Geschoss genutzt. Die Jugendlichen vermisst auch Kukla: "Genau diese Altersklasse müssen wir noch abholen."

Ingrid Müller-Heß leitet seit 1999 die Erdinger Stadtbibliothek. (Foto: Renate Schmidt)

Eine Veränderung, die Müller-Heß bei dem Verhalten der Menschen merke, sei, dass sie sich keine Zeit mehr in der Bibliothek ließen: "Die Leute kommen und gehen ganz schnell wieder. Sie gucken nur kurz bei den Neuerscheinungen und werfen vielleicht noch einen Blick zu den Zeitschriften. Gemütliches Verweilen und Blättern fehlt einfach. Aber ich will mich nicht beklagen." Auch Birgitt Kukla hat einen Rückgang der Umsätze seit 2G bemerkt: "Zwei Leser haben ihre Büchereikarte sogar zurückgegeben, weil sie gegen die 2G-Regel waren." Nach Weihnachten habe sich die Zahl der Ausleihen aber wieder gebessert. "Wir hatten über Weihnachten geschlossen, und als wir wieder offen hatten, kamen so viele Menschen und haben Bücher zurückgebracht und wieder ausgeliehen", sagt Kukla.

Sie vermutet, dass die Lesebegeisterung daher rührt, dass die Menschen viel Zeit haben und etwas Abwechslung im Alltag brauchen: "Eltern, die 2G nicht nachweisen können, schicken ihre Kinder zum Ausleihen rein. Der Bedarf nach Büchern ist also definitiv da."

Die Leiterin des Medienzentrums Wartenberg, Ulla Zehtner, hat ebenfalls seit 2G eine Abnahme an Ausleihen verzeichnet, eine Büchereikarte hat aber keiner zurückgegeben. Besonders froh sei sie drüber, dass es bislang noch keine Auseinandersetzungen mit Nichtgeimpften gegeben habe. "Als Bibliothek müssen wir für jeden da sein, die eigene Meinung ist da irrelevant", sagt Zehtner. Seit der Wiedereröffnung nach dem Lockdown seien viele Kunden verloren gegangen, aber auch einige neue dazugekommen. Trotzdem bemerke sie vor allem unter den Kindern eine große Lesebegeisterung seit Corona. Die Tonie-Boxen und Figuren seien auch hier immer vergriffen. "Das kann entweder daran liegen, dass sie wegen Corona mehr Freizeit haben, oder dass sie einfach das Lesen für sich entdeckt haben", vermutet Zehtner. Eine klar definierbare Veränderung im Leseverhalten der Kunden können sie aber nicht feststellen.

Alle drei Büchereileitungen bemerken allerdings einen großen Anstieg an digitalen Ausleihen und E-Books. "Es stimmt, dass immer mehr Leute digitale Medien verwenden. Aber das, was man vor einigen Jahren befürchtet hatte, dass das Buch seine Bedeutung verliert, das merkt man noch gar nicht", sagt Kukla. Ihrer Meinung nach habe die Bücherei mehr Funktionen als nur das reine Ausleihen von Büchern. "Die Stadtbibliothek ist ein Ort der Kommunikation, ein Wohnzimmer, wo man sich mit Gleichgesinnten unterhalten kann", bestätigt auch Müller-Heß. Seit Corona sei diese Funktion leider verloren gegangen. Daran wolle sie nach der Pandemie unbedingt arbeiten. Durch Corona habe sie aber gemerkt, dass das Lesen und die Abwechslung trotz jeglicher Regeln für die Menschen sehr wichtig seien. Mit Veranstaltungen und aktuellen Angeboten wolle sie deswegen ihre Kunden zum Lesen und Stöbern locken. Zwar gebe es auch andere Freizeitangebote wie Netflix, " aber das Buch wird niemals aussterben".

© SZ vom 13.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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