Leonhard M. Seidl:Pulp Fiction-Heimatkrimi

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Mit "Besäufniserregend" legt der Isener Autor erneut einen wunderbar abgedrehten Roman vor

Von Florian Tempel, Erding

Der in Isen lebende Schriftsteller Leonhard M. Seidl hat schon viele lesenswerte Bücher geschrieben. Sein neues Werk "Besäufniserregend" ist aber ein ganz besonderes Gustostückerl geworden. Das 287 Seiten starke Buch nennt sich im Untertitel eine "bierernste Krimikomödie". Das stimmt schon, doch es trifft die Sache viel zu harmlos. Das Buch ist ein völlig abgefahrener und geradezu wahnwitziger Pulp Fiction-Heimatroman. Die einen werden "Besäufniserregend" lieben und verschlingen, die anderen werden sich Kopf schüttelnd fragen, was soll der Schmarrn?

Leonhard M. Seidl ist direkt gegenüber vom Sechzger-Stadion aufgewachsen - das prägt ein Leben lang. (Foto: oh)

Zum Inhalt: Die Hauptfigur im Buch ist der Privatermittler Valentin Gaukler. Ein nicht unbedingt sympathischer Typ, den aber man einfach gern haben muss. Seidl-Fans kennen ihn aus dem Krimi "Letzte Ausfahrt Giesing" - das übrigens auch ein sehr gutes Buch ist. Valentin Gaukler ist in seinem neuen Fall wieder unglaublich abgebrüht, durch nichts zu schockieren und extrem trinkfest. Er wohnt in Giesing, kennt aber in ganz München ziemlich alle Kneipen und Stüberl. Die haben so wunderbare Namen wie "Zum ewigen Licht" oder "Sengmascho". Das klingt derart verlockend, dass man als sensibler Leser gleich selbst durstig wird.

Valentin Gauklers Stammlokal ist der "Blaue Löwe", in dem es keinen Ruhetag gibt. Der Wirt hätte gerne einen durchgesetzt, aber seine Gäste haben einen Ruhetag mit einem eine Woche dauernden Sitzstreik verhindert. Und was passiert dann? Es geht um gestohlene blaue und rote Fußball-Fan-Fahnen, die so wichtig sind, dass dafür mehrere Menschen sterben müssen. Es folgt ein krasses Durcheinander, in dem extrem schräge Leute noch seltsamere Dinge tun. Das macht Spaß zu lesen, auch weil Leonhard M. Seidl einen sehr passenden, sehr verdichteten Schreibstil anwendet. Das kommt alles so flapsig, schnoddrig und locker daher, hat aber große Ausdrucksstärke. Auf den Punkt gebracht transportiert der Autor so eine universelle Weisheit von Otto Rehagel: "Mal verliert man, mal gewinnen die anderen. So ist das Leben."

Leonhard M. Seidl wird im kommenden Jahr 70 Jahre alt. Seit vier Jahrzehnten lebt er in Isen. Doch der Münchner Stadtteil Giesing lässt ihn nicht los. Er ist in der Grünwalder Straße aufgewachsen, in einer Wohnung im vierten Stock. Die drei Fenster der elterlichen Wohnung nach vorne raus waren Logenplätze mit dem besten Blick ins direkt gegenüber liegende Sechzger-Stadion. In der 1960er Jahren kamen zu den Bundesliga-Heimspielen des stolzen TSV 1860 München stets Gäste zu den Seidls. Pro Fenster gab es, gestaffelt mit Stühlen, Schemeln und Stühlen auf Tischen je sieben Zuschauerplätze. Im Stadion war Leonhard M. Seidl später nur ein einziges Mal. "Ich habe da keine gute Sicht gehabt."

Das Giesing seiner Kindheit und Jugend gibt es nicht mehr. Das ist nicht in jeder Hinsicht ein Verlust. Der Überblick aus der Entfernung, den Leonhard M. Seidl von den Fenstern der elterlichen Wohnung gewohnt war, hat er als Autor behalten. Auch von Isen aus lässt sich offenbar sehr gut über Giesing, München, Bayern und die Welt schreiben.

Leonhard M. Seidl hat mit mehreren historischen Romane auch bewiesen, wie gut er den Blick weit zurückwerfen kann. Absolute Aktualität hat sein Roman "Novemberlicht". Weil Seidl seine Leser niemals langweilen möchte, hat er die Geschichte der Revolutionsmonate von November 1918 bis Anfang Mai 1919 in eine Story verpackt, in der es nur so kracht und drunter und drüber geht. Ein Buch, das aber auch mit prägnanten Details zur Not der Bevölkerung besticht: Wie etwa, dass es in München nicht einmal mehr Holz gab, um die Krücken für die Kriegsversehrten zu zimmern. Man kann das übrigens nicht nur selbst lesen, sondern auch dem Autor zuhören. Er liest am Donnerstag, 6. Dezember, 19 Uhr in der Kulturschmiede Sendling, Daiserstraße 22, in München. Seidl wird zudem, sich auf der Gitarre begleitend, revolutionäre Lieder singen.

© SZ vom 29.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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