Leben in einem geschichtsträchtigen Anwesen:"Klein Sibirien" in der Hallertau

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Weil Sillertshausen in einer Senke liegt, ist es dort kühler als in der Umgebung. Hopfen umgibt noch heute den Auer Ortsteil. Manche Unternehmen produzieren aber Waren, die in alle Welt verschickt werden

Von Katharina Aurich, Sillertshausen

Der kleine Ort Sillertshausen in der Gemeinde Au, der 806 erstmals urkundlich erwähnt wurde, heißt bei den Einwohnern auch "Klein Sibirien", denn hier ist es meist ein paar Grad kälter als in der Umgebung. Die Ortschaft liegt tief in einer Senke, in der sich kalte Luft als Kältesee sammelt und schlecht abfließen kann. Sillertshausen in der Hallertau ist heute noch von Hopfengärten eingerahmt.

Während Jahrhunderte lang die Struktur mit zehn Gehöften nahezu gleich blieb, habe sich der Ort mit heute 91 Einwohnern in den vergangenen 40 Jahren sehr gewandelt, erzählt Frieder-Jörg Schwarz. Der Agrarwissenschaftler und seine Frau Elisabeth erfüllten sich in den Siebzigerjahren ihren Traum und erwarben den heruntergekommenen Graßlhof zum Wohnen und zum Unterstellen ihrer Pferde. Von den einstmals zehn großen landwirtschaftlichen Höfen betreiben heute nur noch drei Acker- und Hopfenanbau, Kühe und Schweine sind ganz aus Sillertshausen verschwunden. Die Eigentümer der Höfe fanden anderen Gebrauch für die großen Gebäude, denn die kleine Ortschaft ist offensichtlich ein kreatives Pflaster: Inzwischen gibt es hier einen weltweit tätigen Handel mit Steintrögen, eine Fachfirma für Spreng- und Pyrotechnik, eine Tischlerei, eine Mechanikerwerkstatt, eine Firma, die Tische für Innen und Außen fertigt und eine Art Boardinghaus für Kurzzeitmieter.

Dennoch sind die Geräusche und Gerüche jetzt im Herbst in Sillertshausen von der Hopfenernte geprägt. Mit großen Erntemaschinen, die häufig Erdbrocken auf der Hauptstraße durch den Ort hinterlassen, wird das grüne Gold in die Scheunen gebracht. Auch auf dem 1928 von einem Moosburger Baumeister errichteten Graßlhof wurde einstmals auf dem Zwischenboden der Hopfen getrocknet und im hohen Seitenteil des Hauses, der Darre, gelagert.

Allerdings war dies schon lange her, als Familie Schwarz das Anwesen 1975 erwarb. Das Paar hatte bereits einige Jahre lang in der Freisinger Umgebung für sich und ihre drei Kinder nach einem alten Hof mit Umgriff gesucht. "Hier standen kein Strauch und kein Baum mehr, die Flächen um den Hof waren mit Brennnesseln überwuchert", erinnert sich Elisabeth Schwarz. Aber das Anwesen habe sie und ihren Mann schon auf den ersten Blick begeistert, besonders gefiel ihr die großzügige Eingangsdiele, erinnert sie sich.

Gemeinde und Bürger haben die Kapelle Sankt Anna saniert. (Foto: Marco Einfeldt)

Natürlich sei beiden ein wenig Angst und Bange vor der vielen Arbeit gewesen, ein solch großes, geschichtsträchtiges Anwesen zu erhalten. Jahrelang sanierten sie den Graßlhof, behutsam und möglichst mit alten Materialien. Die barockisierte Fassade wurde wieder hergestellt und ist damit die einzige erhaltene Originalfassade in der Ortschaft. An die Brennnesselwüste erinnert heute nichts mehr und trotz der niedrigeren Temperaturen gedeihen im Obstgarten spätreife Äpfel, Birnen, Pflaumen und Kirschen. Rund um das Anwesen wachsen Blumen und Büsche, Nutzpflanzen gedeihen im Gewächshaus und mediterrane Kübelpflanzen verschönern im Sommer das Haupthaus.

Zum Anwesen gehörte eine Art Scheune, in der wohl früher die Knechte lebten. Sie wurde zu einem Wohnhaus umgebaut und die Familie erhielt schließlich für ihr denkmalpflegerisches Engagement für beide Gebäude vom Landkreis eine Auszeichnung für gute Baugestaltung. Die Leidenschaft für alte, historische Zeugnisse setzt sich aber noch weiter fort, auf dem Dachboden des Graßlhofs trugen Frieder-Jörg Schwarz und sein Sohn Magnus alte land- und hauswirtschaftliche Gerätschaften aus der Hallertau für ihr kleines Museum zusammen. Eine unübersehbare Fülle an Werkzeugen, Behältnissen, Maschinen, Spinnrädern, Hacken, Schaufeln und vieles mehr erzählen vom arbeitsamen Leben früherer Zeiten, als man zum Überleben auf die Erträge aus den Böden angewiesen war und alles von Hand gemacht werden musste.

Nicht weit vom Graßlhof steht die schlichte Kapelle Sankt Anna, die vermutlich Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut wurde. Lange Zeit verfiel sie, immer wieder drang Wasser ein und das dazu gehörende Türmchen wurde zusehends schiefer. Schließlich entschlossen sich die Gemeinde, der die Kapelle gehört, und die Bewohner Sillertshausens, ihr kirchliches Wahrzeichen zu sanieren. Au übernahm die Materialkosten, aber auch die Einwohner spendeten großzügig und übernahmen die praktischen Arbeiten. Der Altar wurde vom Kirchenmaler Willi Böck aus Langenbach restauriert. Heute werden die Sillertshausener Kinder in der Kapelle getauft und im Sommer wird hier einmal im Monat eine Andacht gehalten.

Neben der Kapelle, auf dem Hof der Familie Czernei, plätschert es aus allen Ecken. Seit über 40 Jahren handelt Manfred Czernei mit alten, handgehauenen Trögen, Brunnen und Steinen, die er größtenteils auf Bauernhöfen im Bayrischen Wald findet. "Wasserkrant" heiße so ein Trog auf Bayerisch, erläutert Cernei.

Mittlerweile ist auch Sohn Christian, der Mechaniker lernte, mit dabei. Er ergänzt die Brunnen mit Einläufen und Bronze-Figuren, die in der ganzen Welt gefragt seien, wie der Firmengründer berichtet. Von Hand werden die Rohre aus Messing oder Edelstahl ganz nach den Wünschen der Kunden geformt. Auf 7000 Quadratmetern Ausstellungsfläche fällt die Auswahl schwer, inzwischen sind neue Tröge aus China dabei. Im verwunschenen, überwachsenen Garten hinter dem Haus der Familie stehen Steinbänke, Steinsäulen und kleine, moosbewachsene Tröge und Vogeltränken, die in Polen aus Granitstein gehauen werden. Der rohe Granitstein für seine Brunnenkreationen, die Czernei selbst entwirft, komme aus Norwegen. Inzwischen sei er international eng vernetzt und habe auch eine Homepage für den Versand aus Sillertshausen in die ganze Welt, erzählt Czernei, der vor 40 Jahren mit dem Hopfenanbau aufhörte, stolz.

© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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