Kunstverein Erding stellt aus:Tiefe Einblicke

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Mit einem ganz und gar zeitgenössischem Thema beschäftigt sich der Erdinger Kunstverein in seiner neuesten Ausstellung: dem "Selfie"

Von Mathias Weber

Selfies, also von sich selbst, meist mit dem Handy geschossene Fotos, sind eigentlich alles andere als ein schnelles Selbstportrait; die Realität - im technischen Sinne - spiegeln sie nämlich nicht wider, wie es kürzlich in einer Nachricht der Universität in Princeton hießt. Allein die Natur der Sefies verbietet das: Weil die Brennweite der eingebauten Linsen der Handy fest ist, und die Kamera einfach zu nah dran ist am Gesicht (nämlich maximal eine Handlänge entfernt), wirken die Gesichter auf den Fotos irgendwie falsch, deformiert. Unser Auge erkennt so etwas sofort: Die Stirn flieht, das Gesicht ist schmaler als in der Realität, die Nase deutlich größer. Forscher aus Princeton haben nun ein spezielles und bestimmt hoch kompliziertes Programm entwickelt, mit denen Selfies nachträglich "gerade gerückt" werden können. Was für ein Aufwand.

Wie sich die Zeiten ändern: In der analogen Welt wäre kein Urlauber drauf gekommen, seinen Fotoapparat in der Hand zu halten und auf sich selbst und seine Begleitung zu richten. Heute sind die Selfie-Porträtisten allgegenwärtig: Ein Klick nur, und das Foto schwebt ins Internet; hier war ich und alle sollen sehen, wie toll es war. Diese Kultur der Selbstbezogenheit kritisieren einige - auf jeden Fall kann das Thema "Selfie" zum Nachdenken anregen. Das wünscht sich auch der Erdinger Kunstverein: Dessen neueste Ausstellung befasst sich mit dem Thema auf vielfältige Art und Weise. Die Ausstellung wird am kommenden Freitag, 5. August, mit einer Vernissage eröffnet.

Das Bild zeigt einen Ausschnitt aus dem Werk "E1" der Künstlerin Barbara Mechler aus Fürstenfeldbruck. Sie hat eine Collage aus Portraits geschaffen. (Foto: Jürgen Naglik)

Wieder handelt es sich um eine Ausstellung, die nicht nur den Erdinger Mitgliedern offensteht. Die Ausschreibung hat sich an Künstler in ganz Bayern gerichtet. 65 Einreichungen gab es am Ende, gut die Hälfte von ihnen hat es in die Ausstellung geschafft. Im Vergleich ist das aber nicht viel: Für die Jahresausstellung 2012 mit dem Titel "Bella Figura" waren es 200 Einreichungen.

Das aber sagt nichts über die Qualität der Werke aus. Sie ist hoch: Ein Teil der Ausstellung wird von Erdinger Künstlern bespielt, der anderen Teil von Künstlern außerhalb des Landkreises. Inhaltlich haben es sich die Teilnehmer offensichtlich nicht leicht gemacht: Nur wenige der Ausstellungsstücke zeigen ein echtes, klassisches Selfie. Viele haben sich mit dem auseinandergesetzt, was das Selfie im kunsthistorischen Sinne auch immer war: ein Selbstportrait; aufgekommen im 19. Jahrhundert, und lange Zeit (bis zur Fotografie) die einzige Möglichkeit, sich zu präsentieren. Auf vielfältige Art und Weise haben sich die Künstler mit dem Portrait auseinandergesetzt, zum Teil in Fotografien, zum Teil in Gemälden; erkennbar sind bisweilen Menschen abgebildet, dann wieder sehr abstrahiert. Die Ausstellung bietet eine Fülle von verschiedenen Herangehensweisen an dieses sehr zeitgenössische Thema. Wer mag, kann im Frauenkircherl auch echte Selfies machen und sie dem Kunstverein schicken - sie werden dann im Laufe der zwei Wochen, die die Ausstellung dauert, auf eine Wand gebeamt.

Was für eine Erfrischung, dass der Kunstverein in der eher kulturarmen Zeit im Hochsommer eine ansprechende Ausstellung anbietet. Aber der Verein denkt schon weiter: Unter der neuen Vereinsvorsitzenden Sigrid Réssy und dem neuen Vereinsvorstand soll es neue Impulse für den alten Verein geben. Das Aushängeschild des Vereins, die Homepage, wurde schon renoviert. Nach der Ausstellung im Frauenkircherl ist schon die nächste im Medizin Campus in Erding geplant, los geht es am Freitag, 23. September. Zuvor, am 11. September, findet in Dorfen eine kleine Kunstaktion statt, ein "Baustellenprojekt". Der Immobilienentwickler Decker feiern ein Baustellenfest an der Zinniengasse, wo einige Mehrfamilienhäuser entstehen werden. Den Tag über können sich Mitglieder des Kunstvereins austoben und Werke erstellen, während die Baustellenbesucher ihnen über die Schulter schauen. Malerei, Graffiti, Holzarbeiten: Die Werke werden später im Ärztehaus ausgestellt.

Huch, ein Selfie: Andreas Guber hat für seinen Beitrag ("Bina") zur Ausstellung eine Frau fotografiert - oder hat sie das Foto doch selbst geschossen? (Foto: Jürgen Naglik)

Und im Oktober folgt die Herbstausstellung, der Titel: "Dada". Wenn der Titel hält, was er verspricht, wird es verrückt im Frauenkircherl.

Die bayernweite Ausstellung "Selfie" findet von Samstag, 6. August, bis Sonntag, 21. August, im Erdinger Frauenkircherl statt, täglich von 13 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist frei. Die Vernissage am Freitag, 6. August, beginnt um 19 Uhr und wird musikalisch von Maria Vinuesa umrahmt, die auch Mitglied im Verein ist. Zudem wird an diesem Abend der Kunstpreis der Sparkasse Erding-Dorfen vergeben.

© SZ vom 04.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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