Kultusminsterium lobt 13-minütigen Kurzfilm:Mit Herzblut, Witzund vielen Kartons

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Das Max-Mannheimer-Gymnasium in Grafing wird für sein "Mauerdrama" ausgezeichnet

Von Nathalie Stenger

Eben sitzen die Jugendlichen noch in einer Gruppe beieinander, im nächsten Moment wird einer von ihnen weggezerrt. Szenenwechsel. Menschen in langen, dunklen Mänteln dominieren das Bild, ihre Gesichtszüge wirken ernst und kalt. Der nächste Junge wird gepackt und verschwindet aus dem Sichtfeld.

Es sind Aufnahmen wie diese, die den Geschichtsfilm des Max-Mannheimer-Gymnasiums über die DDR so authentisch wirken lassen. Im Zuge des Schülerwettbewerbs "Wege zur Freiheit" wurde die Schule in Grafing nun für ihr "Mauerdrama" von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Insgesamt gewannen Schülerinnen und Schüler aus sieben bayerischen Schulen mit ihren Beiträgen in Form von Hörfunksendungen, Bildern, Interviews oder - wie das Max-Mannheimer-Gymnasium - Videos in dem Wettbewerb.

In knapp 13 Minuten umreißt der Film die 28 Jahre andauernde Geschichte der Berliner Mauer. Als Schauspieler und Komparsen fungieren die Kinder und Jugendlichen selbst, sogar um Schnitt und Filmmusik haben sie sich gekümmert. Nur vereinzelt wurden sie von Lehrkräften unterstützt. Nachgestellte Pressekonferenzen und Reden wechseln sich ab mit gekonnten Musikeinlagen und lauten Protestaktionen von Gegnern oder Befürwortern des DDR-Systems. Fluchtpläne werden vor der Kamera verkündet und, dafür sorgen ältere Schülerinnen in der Rolle von Stasimitarbeitern, verhindert.

"Da in unserem Schulhof zwei Stücke der ehemaligen Berliner Mauer stehen, fühlen wir uns verpflichtet, unsere Schülerinnen und Schüler mit der Geschichte der Teilung Deutschlands und dem Mauerfall vertraut zu machen", betont Petra Köpf. Die Lehrerin für Geschichte und Deutsch hat gemeinsam mit ihrer Kollegin Caroline Reh die Dreharbeiten geleitet. An dem "Mammutprojekt", wie Köpf es selbst beschreibt, waren im Schuljahr 2018/2019 insgesamt mehr als hundert Sechst- bis Zwölftklässler beteiligt, über einen Zeitraum von neun Monaten.

Nun wurde die Schule für einen Film zum Thema der innerdeutschen Teilung ausgezeichnet. (Foto: Peter Hinz-Rosin/Gymnasium)

Die Teilnahme an einem Geschichtswettbewerb war dabei nicht ausschließlich das Ziel. "Wir haben den Film im Rahmen eines Wahlkurses produziert", erzählt Köpf, "sind aber auch davon ausgegangen, dass zum Jahrestag des Mauerfalls Wettbewerbe ausgeschrieben werden". Die Ausschreibung von "Wege zur Freiheit" im vergangenen Herbst habe dann allerdings gar nicht ganz zum fertigen Film gepasst, verrät die Lehrerin, nach Absprache mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit seien deshalb nur spezielle Abschnitte eingereicht worden. Letztendlich aber erhielt das Video einen der Hauptpreise. Besonders hervorgehoben wurden die schauspielerische Leistung von Isabel Kanczer, der Schnitt von Julius Gassert, die musikalischen Beiträge von Robin Brunnthaler, Jakob Skudlik und Rosa Taccarelli, außerdem die Choreografie der Schlussszene von Kilian Jocher, Amelie Kiermeier und Louis Menzel.

Die offizielle Preisverleihung durch Kultusminister Michael Piazolo und auch die schulinterne Nachfeier inklusive Filmvorführung in Grafing hätten eigentlich im Frühjahr stattfinden sollen. Aufgrund der Coronapandemie fiel alles aus, wie Köpf erzählt. Die Sachpreise, bestehend aus einer Powerbank und dem Kinofilm "Ballon" - die Verfilmung eines wahren Fluchtversuchs aus der DDR über den Luftweg - wurden deshalb nun direkt an Isabel Kanczer und Julius Gassert versandt.

Isabel Kanczer war zum Drehzeitpunkt in der Q12. Mit strenger Stimme, hochgestelltem Kragen und geballten Fäusten in schwarzen Handschuhen verkörpert sie eine finster dreinblickende Stasimitarbeiterin. Mit fünf Jahren Erfahrung im Theaterkurs der Schule empfand sie ihre Rolle als nicht allzu schwer, auch geschichtlich gab es für Isabel Kanczer keine großen Überraschungen beim Dreh. "Im Unterricht der Oberstufe wurde das Thema sehr genau behandelt", erklärt sie, für die Jüngeren sei der Dreh über die DDR aber bestimmt lehrreich gewesen.

Auf dem Gelände des Grafinger Gymnasiums erinnern Teile der früheren Berliner Mauer an die Teilung Deutschlands. (Foto: Peter Hinz-Rosin/Gymnasium)

Für den Schnitt verantwortlich war Julius Gassert, auch er hat 2019 Abitur gemacht. Seine Arbeit habe nur wenige Wochen gedauert, erinnert sich der ehemalige Schüler, denn Caroline Reh und Petra Köpf hätten bereits eine gute Vorauswahl des Materials getroffen. "Es ist interessant," sagt er, "obwohl es ein so kurzer Film ist, kann man tief in die Materie einsteigen". Er möge das ganze Konzept, fügt Julius Gassert hinzu, es sei keine bloße Nacherzählung, sondern ein Film voller Anspielungen und Witze.

Letztere gibt es viele im Film zu hören. Geschichtslehrerin und diesem Falle auch Drehbuchautorin Petra Köpf erklärt, was es damit auf sich hat. "Im Film dienten uns die Witze dazu, zu zeigen, dass es in der DDR sehr wohl Kritik am SED-Regime gab und was die Bürger kritisierten - und umgekehrt, dass die SED-Diktatur nicht die leiseste Kritik duldete". Die ironischen Zitate stammen aus einem speziellen DDR-Witzbuch, bei dessen Verwendung es vor allem darum ging, niemandem Worte in den Mund zu legen. "Auf diese Weise wollten wir als Außenstehende versuchen, die DDRler selbst sprechen zu lassen".

Tatsächlich wurde das Mauerdrama mit Petra Köpf als Leitung bereits vor einigen Jahren schon mal am Grafinger Gymnasium gedreht. "Aber das wollten wir jetzt nochmal neu machen", erklärt sie, "mit besserem Ton, besseren Aufnahmen und mehr Aufwand". Siri Widmann hatte damals Walter Ulbricht und Erich Honecker gespielt, in dieselben Rollen schlüpfte die heutige Studentin auch für den neuen Film. Gedreht wurde in der Schule und der Stadt, meist Freitagnachmittag oder am Wochenende. "Wir mussten ja ohne den Pausengong arbeiten", erklärt Köpf.

Besonders beeindruckt war die Jury auch von Isabel Kanczers darstellerischer Leistung. (Foto: Peter Hinz-Rosin/Gymnasium)

Die Koordination von mehr als hundert Beteiligten war relativ einfach, heißt es sowohl von Schüler- als auch Lehrerseiten. Im Endeffekt nämlich haben die verschiedenen Teams nicht alle gemeinsam gedreht. Der Chor, der im Film Parteilieder aus DDR-Zeiten singt, bestand aus Schülern der sechsten Jahrgangsstufe, viele andere Szenen wurden entweder einzeln oder in kleinen Gruppen performt.

Eine Ausnahme bietet die Schlussszene: Der Schlüssel wird umgedreht, der Motor springt knatternd an, wenig später durchbricht ein helles Auto die hohe Wand. Die Mauer ist gefallen! Jubel bricht aus, die Leute umarmen sich, mittendrin steht der Trabi. "Das war ursprünglich sogar mal meiner", erzählt Petra Köpf, "netterweise hat ihn uns der jetzige Besitzer für den Dreh zur Verfügung gestellt". Das sei ein Aufwand gewesen, erinnert sich die Leiterin des Projekts, die Wand aus lauter Kartons ständig wieder neu aufzubauen!

Wer genau hinschaut, dem fallen in diesen letzten Sekunden des Films einige maskierte Gestalten in der bunten Menge auf, die schell ihre dunklen Mäntel ausziehen. Sie sollen laut der Drehbuchautorin die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit darstellen, die nach dem Mauerfall weitgehend unbemerkt im vereinten Deutschland gelebt hätten. Wie Julius Gassert beim Schneiden schon erkannt hat: "Teilweise sind Passagen nicht ganz leicht zu verstehen. Aber das ist nicht zwingend ein Kritikpunkt. Man kann auch auf den zweiten Blick immer noch etwas Neues lernen".

© SZ vom 28.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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