Kommentar:Wenn Empathie fehlt

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Bei der Frage, ob Rücküberweisungen von Geld in die Heimat der Flüchtlinge in Ordnung sind, gibt es nur eine Antwort

Von Florian Tempel

Unter den vielen Leserbriefen, die die SZ Erding in den vergangenen Wochen zur Einführung der Flüchtlings-Chipkarte Kommunal Pass im Landkreis Erding erreicht haben, war auch einer, den sein Verfasser im Anschreiben einen "sehr persönlich gefärbten" Brief nannte. Denn Jürgen Bickhardt schildert darin seine eigenen Erfahrungen als Flüchtling. Er verließ als junger Mann 1955 die DDR, um in der BRD endlich Medizin studieren zu können, was ihm bis dahin verwehrt war. In der ersten Zeit nach seiner Ankunft im Westen war er zusammen mit anderen Geflüchteten in einem Sechs-Bett-Zimmer in einer Jugendherberge untergebracht und erhielt staatliche Leistungen zum Leben. "Das uns gewährte Taschengeld erhielten wir komplett als Bargeld, über dessen Verwendung wir niemandem Rechenschaft schuldeten", schreibt Bickhardt. Er hat von dem Geld unter anderem Dinge gekauft, die in der DDR Mangelwaren waren, und in Paketen an seine Eltern geschickt. Und er fragte sich nun, 51 Jahre später: "War das Missbrauch?" - Was für eine Frage.

Es ist die persönliche Färbung, die Bickhardts Leserbrief so eindrucksvoll klug macht. Jenseits von allen politischen Argumenten, juristischen Expertisen und wissenschaftlichen Studien hat sein kurzes Schreiben viel Wesentlicheres zu bieten: Empathie - die Fähigkeit und Bereitschaft, Gedanken, Emotionen und Motive eines anderen Menschen zu erkennen und zu verstehen.

Dass Flüchtlinge sich von denen ihnen gewährten finanziellen Sozialleistungen Geld absparen, um es ihren Angehörigen zu schicken, ist kein Missbrauch staatlicher Leistungen. Ebenso wenig wie es die Pakete waren, die Bickhardt an seine Familie schickte. Wer seinen Leserbrief gelesen hat, hatte schon allein durch ihn eine erschöpfende Antwort auf eine absurd abwegige Idee bekommen.

Die bevormundenden Einschränkungen der Flüchtlings-Chipkarte Kommunal Pass, die mit einigen guten, aber viel mehr schlechten und beschämenden Rechtfertigungen im Landkreis Erding eingeführt worden ist, müssen ein Ende haben. Statt dem willkürlich festgelegten Teilbetrag muss die komplette monatliche Summe freigeschaltet werden. Das leitet sich nicht nur aus den Grundfesten deutscher Rechts- und Sozialstaatlichkeit ab, sondern vor allem aus menschlichen Empfinden.

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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