Kommentar:Nur ein Teil der Realität

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Der Applaus, mit dem Seehofer in der Stadthalle übergossen wurde, dient der CSU-Spitze als Realitätscheck. Andere Stimmen sollten aber auch gehört werden

Von Antonia Steiger

Horst Seehofer macht gerne Politik nah am Menschen. Nah dran an der Realität. Da hätte es geholfen, wenn er am Samstag eine Stunde früher nach Erding gekommen wäre, um bei der Flüchtlingshilfe Erding zu erfahren, wie bereitwillig die Menschen etwas abgeben und helfen wollen. Aber so ein Besuch passt in den Tagesablauf eines Ministerpräsidenten nicht hinein. Er holt sich die gewünschte Dosis Realität lieber auf einer als Fachkongress getarnten CSU-Parteiveranstaltung.

Der Applaus, mit dem Seehofer in der Erdinger Stadthalle übergossen wurde, dient der CSU-Spitze offenbar als Realitätscheck für die eigene Haltung in der Asylpolitik. Die paar Hundert Besucher der CSU-Veranstaltung bilden aber nur einen Teil der bayerischen Realität ab. Mit ihrem impulsiven Applaus, wenn die Rede davon ist, dass Bayern nicht alle aufnehmen kann, die kommen wollen, und mit ihrem sparsamen Applaus, wenn die Rede davon ist, dass die Münchner die Flüchtlinge am Hauptbahnhof so herzlich willkommen geheißen haben.

Die, die anpacken anstatt vom Stadthallenstuhl aus der CSU-Spitze zu huldigen, sind eher die anderen. Die Spendenaktion der Flüchtlingshilfe und die CSU-Veranstaltung haben am Samstag nur wenige hundert Meter voneinander entfernt und zeitlich verschoben stattgefunden. Begegnungen wären möglich gewesen. Und sie wären auch wünschenswert. Für ein gelingendes Zusammenleben mit Menschen, die vor dem Krieg fliehen, sind vor allem diejenigen wichtig, die im Alltag helfen und in Notsituationen da sind. Politiker, die sich in der Öffentlichkeit vordringlich mit der Frage beschäftigen, wie man sich vor den Schutzsuchenden schützen kann, sind allerdings auch nicht ganz unwichtig. Denn sie beeinflussen die Stimmung in erheblichem Maße. Wichtiger als so ein Fachkongress ist für Erding jedoch die Tonart, der Stadtpolitik in dieser Frage. Hier gilt festzuhalten: In keiner Stadtratssitzung hat OB Max Gotz (CSU) Zweifel daran aufkommen lassen, dass er es für ein Gebot der Menschlichkeit hält, den vielen Flüchtenden zu helfen.

© SZ vom 12.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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