Kommentar:Erfolgreiches Modell

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Das Engagement ist gewaltig, die Herausforderungen sind es ebenfalls. Doch Schüler und Lehrer an der Berufsschule Erding zeigen, wie Integration gelingt

Von Antonia Steiger

Pragmatismus, Humor und eine humanitäre Grundeinstellung sind gefragt im Umgang mit der Flüchtlingssituation. Dass man mit diesen drei Eigenschaften ganz schön weit kommt, zeigt die Berufsschule Erding. Es ist schon allerhand, was der Schulleiter Dieter Link, sein Koordinator für die Flüchtlingsklassen Johannes Kestler und das gesamte Kollegium mit mehr als hundert Lehrern leisten. Das Team ist weit entfernt von einem schwärmerisch klingenden "Wir schaffen das!" Stattdessen zaudern die Lehrer nicht lange und bemühen sich um Lösungen für Raum- und Personalengpässe mit viel Engagement und aus der Überzeugung heraus, dass die Flüchtlinge diese Unterstützung brauchen. Dass viele sogar noch viel mehr brauchen als Deutschunterricht. Und dass die Gesellschaft schlecht beraten wäre, wenn sie die Probleme nicht jetzt sofort anpackt.

Für etliche CSU-Mitglieder hatte die Veranstaltung des Arbeitskreises Schule und Bildung aber auch noch einen überraschenden Zusatznutzen. Denn die beiden Lehrer räumten auf mit einigen Vorurteilen. Weder gebe es große disziplinarische Probleme, die mit Nachsitzen nicht zu lösen wären, noch rebellierten die Schüler gegen das weibliche Lehrpersonal. Diesbezüglich unterlägen die Flüchtlinge an der Berufsschule einer "Extrembelastung", wie Link sagte: Etwa die Hälfte des Kollegiums sind Frauen und dazu alle Sozialpädagogen. Die Mitteilung, dass Mädchen aus muslimisch geprägten Ländern auch noch am koedukativen Sportunterricht teilnehmen, löste bei dem einen oder anderen Zuhörer schließlich sogar fast hörbar einen Denkprozess aus.

Die CSU-Veranstaltung ist dazu geeignet, ein paar Denkmodelle zu überprüfen. Das betrifft nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch das Bildungssystem: Während in den Kultusministerien jahrein jahraus darüber geredet wird, ob das Fach Wirtschaft wichtig genug genommen wird und ob Latein noch zeitgemäß ist, wie Mittelschüler ausbildungsreif gemacht werden und wann mit Englisch in der Grundschule begonnen werden soll, geht die Berufsschule unter anderen Voraussetzungen ans Werk: Für die Arbeit mit Flüchtlingen gibt es keinen Lehrplan. Man bespricht sich mit anderen Schulen, man sucht sich das Material zusammen, und dann geht es los. So einfach kann Schule funktionieren, wenn die Menschen mit Herz und Hirn bei der Sache sind. Der ministerielle Überbau erscheint fast überflüssig.

© SZ vom 14.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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