Keine regulären Arbeitnehmer:Integration auch beim Gehalt

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Die Mindestlohn-Debatte läuft an den Werkstätten für Behinderte im Landkreis vorbei. Mitarbeiter erhalten dort im Schnitt nur 250 Euro. Eine Petition stellt das nun infrage. Aus Bundesmitteln soll ein vernünftiges Salär gezahlt werden

Von Thomas Daller, Erding

Bei den Sondierungsgesprächen für eine neue Regierungskoalition hat die SPD einen neuen Mindestlohn in die Verhandlungen eingebracht. Dabei wird jedoch häufig übersehen, dass Mitarbeiter in Werkstätten für Behinderte davon nicht profitieren. Die Betroffenen arbeiten dort für durchschnittlich 250 Euro im Monat, denn sie sind nach geltender Gesetzeslage keine regulären Arbeitnehmer. Doch dem Bundestag liegt auch eine Petition vor, dies zu ändern und den Behinderten aus Bundesmitteln ein vernünftiges Salär zu zahlen. Dies könnte auch die Kommunen bei der Sozialhilfe entlasten. Bei der Lebenshilfe Erding-Freising würde man einen solchen Schritt befürworten.

Ein Blick in die Erdinger Isar-Sempt-Werkstätten der Lebenshilfe, im Bild aus 2021 werden Arbeiten für Himolla erledigt, vorne wird Federkern entpackt. (Foto: Renate Schmidt)

Im Freistaat sind laut Sozialministerium rund 36 700 Menschen in solchen Einrichtungen beschäftigt. Dort werden sie je nach Träger und Tätigkeit unterschiedlich bezahlt. Der überwiegende Großteil der Behinderten arbeitet dort für nicht viel mehr als ein Taschengeld. Es handelt sich aber keineswegs um minderwertige Arbeit: "Wir fertigen Auspuffaufhängungen für BMW, Federkerne für Himolla, Kopfhörer für Fluggäste, Stromzangen für Schaltschränke, bereiten Rauchmelder vor und verpacken Bier für den Export", sagt Albert Wittmann von der Isar-Sempt Werkstätten, die zur Lebenshilfe Erding-Freising gehören. 408 Mitarbeiter werden dort beschäftigt. "Wir sind unheimlich breit aufgestellt." Die Tätigkeiten seien mit denen des ersten Arbeitsmarkts vergleichbar: "Wenn die Qualität nicht hundertprozentig stimmen würde, würden bei BMW die Bänder stillstehen." Allerdings ist die Produktivität von Menschen mit Behinderung geringer als bei Menschen ohne, sagte Wittmann. Oftmals liege sie nur bei zehn bis 15 Prozent. Hinzu komme der Betreuungsbedarf: "Wir haben jeweils einen Betreuer für zwölf Mitarbeiter", sagte Wittmann. Dabei handele es sich um Techniker oder Meister mit einer sonderpädagogischen Zusatzausbildung. Das sei ein deutlicher Mehraufwand als im ersten Arbeitsmarkt.

Gabi Stöger bedruckt an einer Maschine T-Shirts. (Foto: Renate Schmidt)

Auch bei den Werkstätten würden die drei Faktoren Preis, Qualität und Liefertermin im Mittelpunkt stehen. Und man stehe in Konkurrenz zu ausländischen Billiganbietern. Da könne man die Preise für die Produkte nicht beliebig steigern, weil es sonst schon mal vorkomme, dass man auch Aufträge verliere.

"Alle, die zu uns kommen, sind bereits daraufhin getestet worden, ob sie am ersten Arbeitsmarkt eine Chance hätten und sind daran gescheitert", sagte Wittmann. Aber mit entsprechender Einarbeitung könnten sie ihre Aufgaben bewältigen. "Wir passen den Arbeitsplatz an den Menschen an." Der Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt stehe offen, aber nur wenige würden ihn beschreiten: "Von unseren rund 400 Mitarbeiten schaffen das ein bis zwei pro Jahr." Dabei könne es auch mal zwölf Jahre dauern, bis man dazu in der Lage sei.

Melanie Opris tütet Gebrauchsanweisungen für den Möbelaufbau ein. (Foto: Renate Schmidt)

In den Isar-Sempt-Werkstätten werde 38 Stunden pro Woche gearbeitet und der Verdienst liege je nach Tätigkeit und individueller Leistung zwischen dem Grundlohn von 109 Euro bis hin zum Spitzenlohn von 650 Euro. Diese individuelle Leistung werde alle drei Jahr überprüft und angepasst.

Die Werkstätten könnten ihren Mitarbeitern nicht mehr zahlen, weil die Erträge zu gering seien. Man sei aber durchaus offen für einen Mindestlohn in den Einrichtungen, sagte Wittmann, wobei die damit verbundenen Ausgaben über die öffentliche Hand finanziert werden müssten, wie es die Petition auch vorsieht.

Denn im Prinzip müsse man lediglich Steuermittel umschichten, die die Mitarbeiter sonst aus anderen Töpfen erhielten. Es ist ein Rechte-Tasche-linke-Tasche-Prinzip der öffentlichen Hand. Bisher erhielten sie Arbeitsförderungsgeld, Wohngeld, Sozialhilfe und nach 20 Jahren eine Erwerbsunfähigenrente. "Da sind so viele Kassen beschäftigt, allein der Verwaltungsaufwand ist enorm", sagte Wittmann. Wenn man das umschichten könnte, würde man allein durch die Entbürokratisierung Geld einsparen und die Mitarbeiter würden durch einen höheren Mindestlohn auch eine finanzielle Wertschätzung erhalten. "Es ist ja auch keine minderwertige Arbeit, die sie leisten." Allerdings müsse man aufpassen, dass so eine Reform nicht dazu genutzt werde, an den Behinderten zu sparen, warnte Wittmann.

© SZ vom 25.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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