Katastrophenschutz:Bedrohliche Wassermassen

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Beim Hochwasserschutz soll künftig auch an mögliche Sturzfluten gedacht werden. Jede Kommune soll die Auswirkungen von extremen Starkregen in ihrem Gebiet untersuchen lassen

Von Gerhard Wilhelm, Landkreis

Allein im Jahr 2013 haben Überschwemmungen durch Sturzfluten, Starkregen und Hochwasser bundesweit Schäden in Höhe von zehn Milliarden Euro verursacht. Beim Hochwasserschutz stand bislang in erster Linie die Gefahr von Überschwemmungen durch Flüsse und Bäche im Mittelpunkt. Nach den Erfahrungen dieses Jahres in Simbach und anderswo wird das bayerische Hochwasserschutzprogramm 2020plus nun um die Komponente "Sturzfluten" erweitert.

Im Kern soll die Warnung vor Sturzfluten durch genauere Prognosen verbessert werden. So wird unter anderem an eine Reaktivierung von Alarmsirenen und an eine Art Unwetter-App gedacht. "Einen 100-prozentigen Schutz wird es aber nicht geben", gab die bayerische Umweltministerin Ulrike Scharf bei einem CSU-Pressegespräch in Erding zu bedenken. Denn schwere Unwetter können binnen 15 Minuten entstehen, eine wirkliche Vorwarnzeit existiert quasi nicht.

Dennoch: Jede Stadt und Gemeinde soll für ihr Gebiet Untersuchungen in Auftrag geben, die zeigen, wie sich Sturzfluten bei ihnen auswirken würden. Als Basis sollen bereits vorhandene Daten über den Hochwasserschutz dienen, die im Rahmen des sogenannten Hochwasserrisikomanagement in Bayern bis Dezember 2015 erfasst wurden. "Da die Untersuchungen vor Ort sehr detailliert sein müssen, müssen sie auch von den Kommunen in Auftrag gegeben werden", sagt Sylva Orlamünde, die Leiterin des für Erding zuständigen Wasserwirtschaftsamts München. Wer zahlt? "Es ist geplant, sie dafür mit staatlichen Fördermittel zu unterstützen", sagt Orlamünde. Umweltministerin Scharf hat für die Jahre 2017 und 2018 zwölf Millionen Euro dafür in Aussicht gestellt.

Unwetter können manchmal sehr schnell aufziehen, sodass kaum Vorwarnzeit vorhanden ist. (Foto: Peter Bauersachs)

42 Quadratkilometer mit 42 Orten umfasst das Gebiet der Gemeinde Fraunberg. Mit Flüssen wie der Strogen, vielen Bächen und Hanglagen - und damit auch mit einigen Hochwasserproblemen. Der Fraunberger Gemeinderat will mit gutem Beispiel vorangehen und hat bereits beschlossen, eine Hochwasseruntersuchung für Starkregen in Auftrag zu geben. Doch dabei allein soll es nicht bleiben. "Wir müssen das Thema in einer konzertierten Aktion angehen", sagt Hans Wiesmaier (CSU), Bürgermeister von Fraunberg und Vorsitzender des Kreisverbands im Bayerischen Gemeindetag: "Wir müssen erreichen, dass wir gemeindeübergreifend zusammenarbeiten und die gewonnenen Daten zusammen nutzen."

Welches Ausmaß die Schäden bei Sturzfluten annehmen können, wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst: Bodenbeschaffenheit, Art der Landschaft, Siedlungsstruktur, Bauweise der Häuser und vieles mehr. Die Wassermassen vom Himmel überlasten oft sehr schnell Kanalnetze und natürliche Rückhalteflächen wie kleine Gräben. Überflutungen und Beschädigungen von Straßen, Tiefgaragen, Kellern und Gebäuden sind dann "quasi vorprogrammiert", schreibt das Bundesamt für Katastrophenschutz in einer Broschüre über Starkregen.

Oft kann die Kanalisation die Wassermassen nicht mehr aufnehmen, läuft über und Straßen werden überflutet. (Foto: Bodo Wolters/dpa)

"Wir müssen auch die Hausbesitzer sensibilisieren, etwas zu tun", sagt Bürgermeister Wiesmaier: "Wir können nicht einfach nur sagen: Hauptsache, das Wasser ist bei mir weg, sollen die weiter unten doch ersaufen". In Fraunberg werden deshalb in Neubaugebieten schon länger auf den Grundstücken Wasserzisternen eingebaut, die bei Starkregen die Wassermassen zwischenpuffern. "Ein paar gewonnenen Minuten kann schon viel bei Starkregen helfen", sagt Wiesmaier.

Starkregen und Sturzfluten kennen keine Gemeindegrenzen. Ein umfassender Starkregen- oder Hochwasserschutz kann deshalb nur dann funktionieren, wenn in einer möglichst umfassenden Betrachtungsweise alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen in Betracht gezogen. Für Wiesmaier ist deshalb eine gemeindeübergreifende Zusammenarbeit nicht nur wünschenswert, sondern notwendig. Mögliche Schutzmaßnahmen gegen Starkregen können zudem immer auch als Teil eines umfassenden Hochwasserschutzes gesehen werden. Das Ableiten von Regenwasser erfolgt nicht selten in einen Bach oder einen Fluss, der infolge des Wasserzulaufs ebenfalls zu überschwemmen droht. Eine bloße Verlagerung des Problems und der Gefahren macht weder katastrophenschutztechnisch noch ökonomisch Sinn.

Grundsätzlich haftet weder der Bund, ein Bundesland oder die betreffende Kommune für Schäden, die infolge von Überschwemmungen entstehen. Wettereinflüsse sind Teil des "allgemeinen Lebensrisikos", dem jeder Mensch in gleichen Maß ausgesetzt ist. Das heißt: Jede Privatperson ist selbst dafür verantwortlich, sich gegen die Auswirkungen von Naturkatastrophen zu schützen. Es sei denn, es kann der Gemeinde nachgewiesen werden, dass diese weniger getan hat, als sie gesetzlich hätte tun müssen.

Kommt es in privaten Häusern oder Betrieben zu Schäden zum Beispiel durch den Rückstau von Wasser in der Kanalisation, muss jeder Gebäudeeigentümer selbst für die finanziellen Folgen aufkommen. Die Gemeinde kann nicht dafür haftbar gemacht werden, dass die Abwasserkanäle für ein Sturzflut-Ereignis zu klein dimensioniert gewesen wären. Das liegt daran, dass sich die Wasseraufnahmekapazität örtlicher Kanalsysteme eben nicht am Extremfall eines Jahrhunderthochwassers orientieren, sondern an der Intensität von Regenereignissen mit einer Wiederkehrwahrscheinlichkeit von zehn bis 30 Jahren. Eine Erweiterung der Kanalsysteme für eventuelle Sturzfluten ist in Bayern nicht vorgesehen: Die finanzielle Belastung für Bürger und Gemeinden wäre zu groß.

Ein häufig in der Kritik an Behörden und Kommunen übersehenes, grundsätzliches Problem ist außerdem, dass die erforderlichen Flächen für Rückhaltebecken, Abfanggräben oder Flutmulden meist nicht Eigentum der Gemeinden, sondern in Privatbesitz sind. Nicht jeder Grundbesitzer ist davon begeistert, Grund für den Hochwasserschutz herzugeben, wie Bürgermeister Wiesmaier aus eigener Erfahrung weiß.

© SZ vom 10.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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