Freistaat contra Glaubitz:"Von vornherein ein Rohrkrepierer"

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Jerzy Montag, früherer Landesvorsitzender der Grünen. (Foto: Robert Schlesinger/dpa)

Jerzy Montag hat Kreisrat Stephan Glaubitz im Streit um kritische Äußerungen über das Landratsamt als Anwalt vertreten. Er erläutert die Brisanz des Falles und seine juristische Bedeutung

Interview Von Florian Tempel, Erding

Der Fall Glaubitz ist weitgehend abgeschlossen, aber noch nicht ganz. Was noch fehlt, ist eine finale Abrechnung. Da der Freistaat seine Klage zurückgezogen hat, muss er alles zahlen. Auch für die Arbeit von Jerzy Montag, der den Grünen-Kreisrat Stephan Glaubitz als Rechtsanwalt vertreten hat und dabei auf ganzer Linie erfolgreich war. Im Gespräch mit der SZ zieht Montag, der von 1998 bis 2002 Landesvorsitzender der Grünen und von 2002 bis 2013 Bundestagsabgeordneter war, eine inhaltliche Bilanz.

SZ: Wie besonders war dieses Verfahren?

Jerzy Montag: Einen solchen Fall hat es, meiner Meinung nach, in Bayern noch nicht gegeben. Und seine Bedeutung geht weit über den Einzelfall hinaus. Dass der Freistaat einem oppositionellen Parlamentarier gerichtlich die Kritik am staatlichen Vorgehen verbieten will, greift zentral in das Demokratieverständnis ein. Der Staat hat die Grundrechte von Parlamentariern zu schützen und nicht in Grundrechte einzugreifen. Kritik am Staat zu üben ist das Recht und die Pflicht von Parlamentariern. Ihnen das untersagen zu wollen, ist ein schwerer Eingriff in die Struktur unseres Rechtsstaates.

Aber es wurde Stephan Glaubitz doch vorgeworfen, dass er ehrenrührige, unwahre Behauptungen über die Arbeit der Erdinger Ausländerbehörde aufgestellt habe. Beleidigung ist doch strafbar?

In diesem Prozess ging es niemals um vermeintliche Ehrverletzungen irgendwelcher Beamter.

Aber was ist denn mit der Klageschrift? Ihre Rechtsanwaltskollegen, die sie verfasst haben, haben doch argumentiert, dass es Beleidigungen gegeben habe?

Die gegnerischen Anwälte haben behauptet, dass die sogenannte Ehre des Staates berührt worden sei.

Gibt es das, die Ehre des Staates?

In allen juristischen Lehrbüchern von allen Professoren von A bis Z steht, der Staat hat keine Ehre.

Aber der Staat kann, wie wir erfahren haben, dennoch eine solche Klage einreichen.

Wenn der Staat nach sechs Wochen die Klage zurückzieht, weil das Gericht das so empfiehlt, dann kann das nur so gedeutet werden, dass diese Klage von vornherein ein Rohrkrepierer war.

Stephan Glaubitz hatte, Monate bevor die Klage erhoben wurde, jedoch eine Unterlassungserklärung abgegeben, dass er bestimmte Aussagen nicht wiederholen wird.

Er hat bestimmte Äußerungen getätigt, die er meiner Meinung nach von Rechtswegen nicht hätte zurücknehmen müssen, die er aber auf meinen Rat hin zurückgenommen hat. Er hat es getan, weil wir davon ausgegangen sind, dass damit der Eklat in Erding wieder auf politische Bahnen zurückgeführt werden könnte.

Das war Anfang Juli 2018, Monate bevor die Klage eingereicht wurde.

Es war eine Handreichung, die die Gegenseite nicht angenommen hat. Die Gegenseite hat sich danach auf einen anderen Text meines Mandanten gestürzt, aus dem sie ihm mit der Klage mannigfache Äußerungen verbieten wollte. Von diesen weiteren Äußerungen hat Herr Glaubitz - übrigens auch auf Vorschlag des Gerichts - keine einzige zurückgezogen. Ganz im Gegenteil hat er - und auch das auf Vorschlag des Gerichts - die Richtigkeit und Bedeutung seiner Kritik noch einmal bekräftigt.

Der Text den Sie ansprechen stand unter dem Titel "So ist es richtig!" auf der Internetseite der Erdinger Grünen. Das Landratsamt sieht es als Erfolg des Verfahrens an, dass dieser Text nun von der Seite gelöscht wurde.

Dass das Landratsamt Erding versucht, die Tatsachen zu verdrehen und Nebelkerzen zu werfen, verstehe ich. Aber der Prozess ist mit einer vollständigen Niederlage des Freistaats Bayern beendet. Der Freistaat muss die gesamten Kosten des Verfahrens übernehmen und mein Mandant hat nicht einen einzigen Satz, der ihm verboten werden sollte, zurückgenommen.

In einer Presseerklärung aus dem Landratsamt, noch weit vor der Klageerhebung, wurde Stephan Glaubitz vorgeworfen, er lasse jeglichen Respekt vor der Arbeit einer staatlichen Behörde vermissen. War das der Kernpunkt für die Klage?

Ich halte das für ein vorkonstitutionelles, obrigkeitsstaatliches Denken. Respekt vor Behörden kann man haben, wenn man es möchte, aber man muss es nicht.

Es kommt darin aber zum Ausdruck, wie sehr Landrat Martin Bayerstorfer die Kritik an seiner Behörde getroffen hat.

Vertreter des Staats müssen Kritik aushalten. Kritik gehört zum Wesenskern der Demokratie. Es ist ein armseliger Politiker, der Kritik nicht aushalten kann. Und außerdem: Kritik kann man auch positiv nehmen, um die Einsichten darauf zu verwenden, die Arbeit des Staates oder des Ausländeramtes in Zukunft besser zu machen. So ein Versteifen darauf, wir machen immer alles richtig und wir müssen uns in keinem Punkt irgendwie ändern oder verbessern, zeugt von einer gewissen Starrheit. Aber die Auseinandersetzung mit Herrn Bayerstorfer, dem Landratsamt, der Ausländerbehörde ist abgeschlossen. Ich würde aber gerne noch etwas zur grundsätzlichen Bedeutung dieses Falles sagen.

Gerne.

Die grundsätzliche Bedeutung liegt meiner Meinung nach darin, dass der Staat sich anheischig macht, Kritikern das Wort verbieten zu wollen. In diesem Zusammenhang ist es mehr als befremdlich, dass die Staatsregierung, die die Verantwortung für jegliches staatliche Handeln in diesem Land trägt, dem Landtag erklären musste, dass sie von dieser Klage gar nichts wusste. Wer prüft eigentlich unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, unter Demokratie-Gesichtspunkten, ob der Staat gegen einen Parlamentarier vorgehen will oder nicht? Offensichtlich war es das Landesamt für Finanzen, das für diese Prüfung völlig ungeeignet ist. So wie ich es verstanden habe, ist das Landesamt für Finanzen für alle Arten von Zivilklagen staatlicher Behörden zuständig. Wobei es bei Zivilklagen in 99 Prozent der Fälle lediglich um Geld geht. Wenn der Freistaat vom Bauern X oder der Firma Y 10 000 Euro wiederhaben will, mag das Landesamt für Finanzen zuständig und dafür auch qualifiziert sein. Die Prüfung durchzuführen, ob schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte eine solche Klage rechtfertigen, kann dieses Amt, meiner Meinung nach, überhaupt nicht leisten. In unserem konkreten Fall hat das Landesamt die Sache als völlig unbedeutend deklariert und deshalb die Staatsregierung nicht informiert. Wie kann ein so exzeptioneller Fall für so unbedeutend erklärt werden?

Wäre es nicht schon Pflicht im Landratsamt Erding gewesen, eine weitere Stelle zum Beispiel in einem Ministerium zu fragen, ob so eine Klage geht oder nicht?

Es wäre ein Akt der politischen Klugheit gewesen, die Parteikollegen in der Staatsregierung zu informieren. Ich schätze, dass dann der Hinweis gekommen wäre, mit diesem Verfahren etwas vorsichtiger umzugehen. Aber eine Pflicht bestand für den Landrat dazu nicht - aber für das Landesamt für Finanzen bestand eine Pflicht zur Prüfung der sogenannten überregionalen Bedeutung. Dass das Landesamt die Staatsregierung nicht informiert hat, ist skandalös.

Man könnte es nur damit entschuldigen, dass in der Arbeit des Landesamtes so etwas noch nie vorgekommen ist.

Gerade die Besonderheit des Falles hätte alle Warnlampen zum Leuchten bringen müssen.

Die Klage war mit einem sehr hohen Streitwert von mehr als 91 000 Euro und einem Prozessrisiko von etwa 45 000 Euro verbunden - wobei letzteres vom Landratsamt Erding als übertrieben heruntergespielt wurde.

Die Staatsregierung hat meine Berechnung des Prozessrisikos von 45 000 Euro auf den Cent genau bestätigt.

Darf man nicht einen geringeren Betrag annehmen, weil das Verfahren ja nicht durch alle Instanzen gehen muss?

Das Prozessrisiko ist immer die Berechnung des worst case und nicht des halb so schlimmen Falles. Ich würde meinen Job nicht richtig machen, wenn ich meinen Mandanten nicht über die realen Gefahren eines Prozesses informieren würde.

45 000 Euro sind eine Menge Geld, das kann einen ruinieren.

Es kommt darauf an für wen. Für den Freistaat Bayern ist es vielleicht eine Petitesse. Für meinen Mandanten hatte es existenziellen Bedrohungscharakter. Das steigert die Bedeutung des Falles. Wenn man als Parlamentarier nicht nur der Gefahr ausgesetzt wird, einen Maulkorb verpasst zu bekommen, sondern dass man darüber hinaus auch noch existenziell gefährdet wird, dann hat das auch für andere ehrenamtliche Kommunalpolitiker im Lande eine durchaus abschreckende Wirkung.

Was geben Sie dem Landratsamt Erding zum Abschied mit auf den Weg?

Ich würde es begrüßen, wenn sich die Schere schließen würde zwischen der Praxis zum Beispiel des Landratsamts München, das 80 Prozent Genehmigungen von Arbeit für Flüchtlinge ausspricht, im Gegensatz zur Ausländerbehörde Erding, die 80 Prozent der Arbeitserlaubnisse versagt. Beides geschieht auf gleicher gesetzlicher Grundlage und auf Grundlage der gleichen ministeriellen Weisungen. Daran sieht man, welche politische Verantwortung in jedem Ausländeramt herrscht. Ich würde mir auch für Erding eine humanere Vorgehensweise wünschen.

© SZ vom 23.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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