"Großer Einsatz erforderlich":Es wird zunehmend schwierig

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Noch herrscht kein akuter Mangel an Pflegefamilien, sagt das Jugendamt. Aber die moderne Berufswelt erschwert die Suche

Von Regina Bluhme, Erding

Kinder, die in einer Pflegefamilie untergebracht werden, haben Schlimmes durchgemacht. Sie haben Eltern, die durch Krankheit oder Überforderung nicht für sie sorgen können, die sie misshandeln oder emotional verwahrlosen lassen. Kürzlich vermeldete die Bundesregierung, dass die Zahlen der Pflegekinder bundesweit im Zeitraum von 2008 auf 2018 um 35 Prozent gestiegen sind. Im Landkreis Erding lebten im vergangenen Jahr 55 Kinder in Vollzeitpflegefamilien. Damit sind die Zahlen laut Jugendamt Erding im Vergleich zur bundesweiten Entwicklung konstant geblieben. Allerdings wird es zunehmend schwierig, geeignete Familien zu finden. Ein Grund ist, dass mittlerweile oft beide Partner berufstätig sind.

An Pflegefamilien herrsche im Landkreis Erding "aktuell kein ausgeprägter Mangel", erklärt Peter Stadick, Leiter des Jugendamts Erding. Um geeignete Familie zu werben und intensiv betreuen zu können, sei jedoch "mittlerweile ein großer Einsatz erforderlich". Gesellschaftliche Veränderung wie die Berufstätigkeit beider Elternteile erschwere die Akquise geeigneter Familien. Um ein Kind aufnehmen zu dürfen, müssen die Bewerber über jede Menge Ressourcen verfügen. Neben Nachweisen der gesundheitlichen Eignung, der soliden wirtschaftlichen Verhältnisse und eines ausreichenden Wohnraums sind auch pädagogische Fähigkeiten "wie Geduld, reflektiertes Erziehungsverhalten und kommunikative Fähigkeiten" gefragt. Darüberhinaus müssen die künftigen Pflegeeltern nach Angaben von Peter Stadick folgendes mitbringen: neben psychischer Belastbarkeit eben auch ein hohes Maß an Flexibilität und Präsenz. Da wird es schwierig, wenn beide Partner voll berufstätig sind.

Der Pflegekinderfachdienst, der vor über 30 Jahren im Kreisjugendamt eingerichtet worden ist, überprüft und berät die Vollzeitpflegefamilien. In der Regel ist laut Peter Stadick im Amt eine Vollzeitkraft für mehr als 25 Pflegekinder zuständig. Dann gibt es noch die Bereitschafts- und Kurzzeitpflegefamilien, die durch zwei Fachkräfte des Fachdienstes Erziehungshilfen betreut werden. Die Betreuung reicht von wenigen Tagen bis maximal sechs Monate. In der Vollzeitpflege bleiben die Kinder bis zur Volljährigkeit oder auch darüber hinaus.

Grundsätzlich gebe es mit Pflegekindern dieselben Probleme wie mit den eigenen, so Peter Stadick. Zudem könne es zu Verhaltensauffälligkeiten kommen. Es gibt Kinder, die aufgrund der Sucht der Muter alkoholkrank auf die Welt kommen und dann ihr Leben lang unter einer körperlichen oder geistigen Schädigung leiden. Es gibt Kinder mit psychosozialer Schädigung oder Entwicklungsdefizite infolge von Vernachlässigung. Zudem seien Kinder und Jugendliche mit dem neuen Alltag in der Pflegefamilie zunächst überfordert, da sie von Seiten ihrer Eltern "verlässliche Strukturen, zugewandte Beziehungen und sichere Bindungen oftmals zu wenig erfahren haben", so Stadick.

Zur Unterstützung und Begleitung der Pflegeeltern finden regelmäßig Einzelgespräche und Hausbesuche statt, erklärt der Jugendamtsleiter. Es gibt auch regelmäßige Gruppensupervisionen und Fortbildungsangebote. Zudem unterstützen sich die Pflegeeltern auch untereinander.

Gestaffelt nach Altersgruppen zahlt das Jugendamt für den Unterhalt eines Vollzeitpflegekindes zwischen 251 Euro und 370 Euro und einen Erziehungsbeitrag von 300 Euro pro Monat. Für bestimmte Posten zahlt das Amt aber auch einmalige Leistungen. Auch zur privaten Altersvorsorge wird ein Beitrag geleitet und die Unfallversicherung übernommen. Die Bereitschafts- und Kurzzeitpflegefamilien erhalten für die ersten 60 Tage jeweils pauschal 80 Euro pro Tag und Kind. Im Anschluss wird der Pflegesatz, der auch für Vollzeit gilt, gezahlt.

Auch wenn das Jugendamt nicht mehr händeringend Pflegeeltern sucht, so wie vor ein paar Jahren: "Ein Zuviel an Bewerbern gibt es nicht", erklärt Stadick, vor allem, um "eine passgenaue Auswahl im Einzelfall" treffen zu können. "Wir freuen uns immer über Anfragen von interessierten Paaren oder Familien."

© SZ vom 17.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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