Gratis in Moosburg:Mit scharf, ohne Kohle

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Murat Dinsel verschenkt in seiner Imbissbude seit vier Monaten Döner an Bedürftige. Sein Laden läuft

Von Korbinian Eisenberger, Markt Schwaben/Moosburg

Der Günther kommt immer gegen elf. Er verlässt seine Baracke und geht die Straße runter zu der schwarzen Bude mit der gelben Schrift. In der Bude kennen sie seinen Namen. "Servus, Günther, magst an Tee? Hast Hunger?" Meistens bleibt Günther am Stehtisch stehen, manchmal auch länger, ohne Zwiebeln bitte. "Gut war's, dank dir recht herzlich", sagt er, ein letzter Schluck Tee. Irgendwann, sagt Günther, irgendwann ist er wieder flüssig. Dann stapft Günther weiter Richtung Bahnhof. Zu den Müllkörben, Flaschen sammeln.

Ein Januartag im Landkreis Freising, Murat Dinsel aus Markt Schwaben hat seine Imbissbude um zehn Uhr aufgesperrt. Wo er steht, sieht er Menschen ein- und aussteigen, manchmal sieht er dem Elend ins Auge. Von Dinsels Theke schaut man direkt auf den Bahnhof der Stadt Moosburg. Mittags kommen die Kinder, abends die Pendler und zwischendrin tauchen Leute wie Günther auf. Ein Mann um die 50, Job weg, Frau weg, Wohnung weg. Dinsel schaut ihm nach, dann faltet er Fladenbrote auf. Mit oder ohne scharf? Knoblauch oder Kräutersoße? Ein kurzer Blick. "Meistens sehe ich gleich, ob jemand zahlen kann oder nicht", sagt er. Manchmal sagt er dann nur noch: Passt so, an Guadn.

Dinsels Stand ist eine normale Imbissbude. In der rechten Ecke dreht sich ein Fleischspieß. Und in der linken Ecke hängt ein Preisschild, vier Euro kostet der Döner. Wenn man aber vorne an der Auslage steht, schaut man nicht auf eine Preisliste, sondern auf einen Zettel mit einem kurzen Text: "Wenn Sie mal nicht bezahlen können, dann ist das auch nicht schlimm." Wer sich das Geld für einen Döner nicht leisten kann, der bekommt ihn bei Murat Dinsel umsonst.

Das Gratis-Schild hängt auch vier Monate nach der Eröffnung noch in der Auslage. Ja, sagt er, ihm ist das völlig ernst. Am Stehtisch haben die Leute Hunger, drei Handwerker aus dem Ort lassen sich gerade ihren Dürüm schmecken, sie kommen öfter her, sie haben bezahlt, den Tee gibt's wie immer gratis. "Es ist nicht so, dass die Leute das Angebot ausnutzen."

Murat Dinsel ist Quereinsteiger in der Imbissbranche. Der 44-Jährige hat Schlosser gelernt, dann 20 Jahre als Objektschützer und Türsteher gearbeitet, zuletzt für ein Möbelhaus in der Region. "In dem Job bekommt man einen Blick für Menschen", sagt er, ob jemand ehrlich ist oder einem was vormacht. Im Herbst 2016 kaufte sich einen Imbisswagen und machte einen Neuanfang als Dönermann. Aber nicht in seinem Heimatort Markt Schwaben, sondern in der Stadt, wo seine Frau als Friseurin arbeitet. Zur Eröffnung postete er sein Gratis-Angebot auf Facebook. Murat Dinsel sagt, es gehe ihm vor allem darum, dass niemand hungern muss. Manchmal seien es fünf Gratis-Döner am Tag, manchmal zehn, 20 bis 40 Euro täglich. "Manche geben mir dafür auch mal mehr."

Spendabel sein ist eine teure Angelegenheit. Es lässt sich aber auch gut verkaufen, vor allem seit es soziale Netzwerke gibt. Der 44-Jährige zeigt auf die Budenwand, drei Zeitungsartikel hängen da. Ein Radio-Reporter kam undercover vorbei und machte den Gratis-Döner-Test, den hat der Markt Schwabener bestanden. Seit seine Geschichte durch die Medien ging, läuft auch sein Laden, ein Spieß am Tag, meistens ist am Nachmittag alles verkauft - oder verschenkt.

Warme Worte und warme Fladenbrötchen passt anscheinend gut zusammen. Dinsel ist nicht der einzige, der in der Zeitung steht. Aus allen Regionen melden Lokalblätter seit zwei, drei Jahren Geschichten von warmherzigen Dönerverkäufern. Einer der ersten war Hüseyin Yusuf aus Bestwig in Nordrhein-Westfalen. Er hatte im Frühjahr 2014 mit Gratis-Döner für Arme über Facebook geworben, am Ende berichteten große Fernsehsender und Zeitungen über ihn - Stern, Welt, Bild. In Baden-Württemberg ging die Geschichte eines Mannes durch die Lokalpresse, der am Marktplatz von St. Georgen Weihnachts-Döner an Arme verschenkte. Das Internet ist voll mit solchen Geschichten.

Warum ausgerechnet Dönerverkäufer? Murat Dinsel erzählt von der Türkei, wo er als Kind sechs Jahre lebte. Die Gastfreundschaft der Türken sei bei ihm hängen geblieben. "In Istanbul wird man aus einem Lokal nicht weggeschickt, ohne dass man zumindest einen Tee getrunken hat." Auf dem Ebersberger Wochenmarkt verschenkt aber auch ein polnischer Hendl-Verkäufer Essen, er gibt Flüchtlingen gebratene Ripperl aus. Ein paar hundert Meter weiter betreibt ein Afghane den Bahnhofs-Imbiss, auch er verlangt nicht von jedem Kunden Geld. Und es gibt Wirtshäuser, die Flüchtlingen Essen spenden, Metzgereien und Bauernhöfe, die Obdachlosen was spendieren, nur dass darüber seltener geschrieben wird.

"Es ist für die Leute was anderes, wenn ein Ein-Mann-Betrieb was verschenkt", sagt Dinsel. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass jene, die selbst nicht so viel haben, spendabler sind. Und es gibt Leute, die auf solche Erhebungen pfeifen, dazu zählt Dinsel. Er hat ein Zuhause in Markt Schwaben mit seiner Frau und den beiden Töchtern, andere haben das nicht. "Es gibt Leute, die es richtig schwer haben", sagt er. "Auch im Münchner Speckgürtel." Der Familienvater aus Markt Schwaben sucht gerade selbst nach einer Wohnung in Moosburg. Fast ein Luxusproblem, hier hinterm Bahnhof, wo in einem Moment die Schulkinder lachend vorbeirennen und im anderen Moment Günther seine Kapuze hebt. Günther rennt nicht, er hat meistens eine Plastiktüte mit Pfandflaschen dabei. Er schaut oft ernst, aber manchmal, wenn er vor der Bude steht, lacht er.

© SZ vom 04.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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