Gesundheitssystem:Insolvenz bringt Apotheken in Not

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In seinem Buch "Medikamenten Monopoly" kritisiert Franz Stadler das aktuelle Apothekensystem. (Foto: Stephan Görlich)

Für Franz Stadler zeigt die Pleite des Abrechenzentrums AvP, wie überholt das System sei. Die Arzneimittelversorgung würde durch gewinnorientierte Finanzinvestoren leiden

Von Laura Dessena, Erding

Der Erdinger Apotheker Franz Stadler ist überzeugt, dass die Insolvenz des Apotheken-Abrechenzentrums AvP die großen Probleme aufzeige, die hinter dem gesamten Gesundheitssystem stecke. "Das System ist inzwischen instabil", sagt Stadler. Die Apotheken im Landkreis nutzen nach Angaben der AvP weitestgehend andere Rechenleistungsanbieter - bis auf zwei. Einer von ihnen ist Jens Krautscheid, Inhaber der Park Apotheke in Dorfen. "Von der Insolvenz wurde ich vom sprichwörtlichen Blitz getroffen", sagt Krautscheid. Bundesweit geht es geschätzt um mehrere hundert Millionen Euro, die der insolvente Abrechnungsdienst nicht an die betroffenen Apotheken weitergeleitet haben soll.

"Noch am Tag der Insolvenzanmeldung kommunizierte die Geschäftsleitung von AvP, dass 'alles in Butter' sei", sagt Jens Krautscheid. Die AvP-Insolvenz stelle die Park Apotheke finanziell vor eine neue Herausforderung. Die entstandene finanzielle Kluft sei zwar von der Bank gepuffert worden. Nun müsse man abwarten, wie der Insolvenzprozess verläuft. "Das Wichtigste ist jedoch: Unsere Kunden werden davon nichts bemerken", sagt Krautscheid. Man habe das Warenlager der Park Apotheke in den vergangenen Monaten aufgrund der Corona-Pandemie eh massiv ausgebaut. Außerdem sei die Frequenz der Lieferfahrten erhöht worden, sodass jedes Medikament, selbst, wenn es nicht auf Lager sein sollte, noch am selben Tag zum Patienten nach Hause geliefert werden könne. "Schließlich geht durch die AvP-Pleite Corona nicht weg", sag der Apotheker.

Der Grund, warum der Ausfall einer Monatsabrechnung bei Apotheken so große finanzielle Lücken aufreißt, sieht Franz Stadler im überholtes System. Einer der größten Fehler sei, dass die Apotheken alle Medikamente, die sie herausgeben, im Voraus bezahlen müssen. Es handelt sich dabei oft um sehr teure Medikamente, an denen die Apotheken gerade mal drei Prozent Aufschlag verdienten, was zum Beispiel bei einem Medikament von 20 000 Euro vergleichsweise wenig sei. Die vorgestreckten Gelder werden dann im Laufe des darauffolgenden Monats durch die Rechenzentren von den Krankenkassen an die Apotheken weitergeleitet. "Aus meiner Sicht ist es nicht mehr zeitgemäß und auch sehr bürokratisch, dass die Gelder über die Rechenzentren fließen, weil die Kassen uns die Gelder auch direkt zahlen könnten", sagt Stadler. Dann wäre die Gefahr nicht mehr gegeben, dass bei Insolvenz eines Rechenzentrums die vorgestreckten Gelder verloren gehen. "Für eine normale, kleine Apotheke ist das langsam ein nicht mehr tragbares Risiko", erklärt er. "Die wenigsten Apotheken haben es im Kreuz, zwei Monate voraus zu finanzieren und sind dann pleite", sagt Wolfgang Reiter, Inhaber der Schloss Apotheke in Markt Schwaben, die von der AvP-Insolvenz verschont blieb.

Aus diesem Grund schlägt Stadler das Kommissionsmodell vor, bei dem die Kasse direkt mit dem Hersteller abrechnen soll, um das Ungleichgewicht zwischen Vorfinanzierung und möglichem Verdienst auszugleichen. Um dieses und weitere Probleme der Arzneimittelbranche zusammenfassend ans Licht zu bringen, schrieb der Erdinger das Buch "Medikamenten Monopoly". Es soll verdeutlichen, dass auch der Umgang mit Arzneimitteln mittlerweile von Geldgier getrieben sei. Dem sorglosen, fast spielerischen Umgang mit unserer Arzneimittelversorgung würden auch Erdinger Apotheken zum Opfer fallen, die von der AvP-Pleite verschont blieben, vermutet Stadler. Jeder Investor würde spekulieren und dabei vergessen, dass die Arzneimittelversorgung als Teil der kritischen Infrastruktur funktionieren muss, wenn es darauf ankommt. "Es geht nicht um Kochtöpfe, es geht um Arzneimittel. Die sind ein besonderes Gut und da muss man dafür sorgen, dass die Versorgung stabil bleibt", sagt Stadler. Seine Befürchtung ist, dass das Solidarsystem durch gewinnorientierte Finanzinvestoren gesprengt werden könnte, was unter anderem zur Folge hätte, dass jeder seine Medikamente selbst zahlen müsste. Die beschriebene Profitgier widerspreche dem grundsätzlichen Ziel die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen.

© SZ vom 28.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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