Geschäftspraktiken führen vor Richter:Undurchsichtiger Handel mit Teststreifen

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Einer 51-Jährigen wird Hehlerei vorgeworfen, weil sie für zu niedrige Preise eingekauft hatte. Sie hat angeblich nicht gemerkt, dass es sich um illegale Ware handelt: Freispruch

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Der Vorwurf wiegt schwer: In 31 Fällen soll sich eine 51-Jährige aus dem Landkreis der Hehlerei schuldig gemacht haben. Sie hatte 6640 Packungen mit je 50 Teststreifen für den Blutzuckerwert im Internet gekauft - zunächst über E-Bay und später größere Chargen über 200 bis 250 Packungen direkt bei einer Verkäuferin des Pharma-Konzerns Roche. Gesamtschaden laut Firma: mindestens knapp 120 000 Euro. Die Verkäuferin hatte die Ware unterschlagen. Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger der Firma gingen davon aus, dass dies die 51-Jährige angesichts des niedrigen Preises hätte wissen müssen. Das Schöffengericht unter Richter Björn Schindler sah dies anders und sprach die Frau frei.

Die Verhandlung gab einen Einblick in Handelspraktiken, in den offiziellen Handel und den Handel im Schatten. Etwa 800 bis 900 Millionen Euro zahlen Krankenkassen jährlich für die Teststreifen, mit denen Diabetiker ihren Blutzuckerspiegel messen. Der damalige Verkaufsleiter sagte vor Gericht aus, dass der Handelsmarkt "relativ überschaubar" und auf 14 Großhändler und etwa 50 Fach- oder Kleinhändler aufgeteilt sei. Er habe durchgesetzt, dass "das Preisniveau vereinheitlicht" wurde - dass das Produkt nur mit einer engen Preisspanne an Händler verkauft werde. "Die Preisgleichheit ist uns heilig." Je nach Typ würden 17,07 oder 20,59 Euro, abzüglich vielleicht noch 1,5 Prozent Skonto, verlangt. Wenn im Markt jemand billiger verkaufe, würden sofort die Alarmglocken läuten. Dann könne die Ware nur illegal beschafft worden sein.

Die Angeklagte gab an, dass sie seit 2010 mit den Teststreifen Geschäfte mache, oft über E-Bay. Sie kaufe Packungen von Unternehmen und verkaufe sie mit Gewinn weiter. Im Jahr kämen so bis zu 18 000 Euro zusammen. Ins Geschäft sei sie mit der Verkäuferin über E-Bay gekommen. Dort seien nur ein paar Packungen angeboten worden. Im weiteren E-Mail-Verkehr habe ihr die Verkäuferin angeboten, mehr Packungen zu besorgen. Insgesamt wurden daraus zwischen Dezember 2014 und August 2015 31 Käufe über 6640 Packungen - mit einem Durchschnittspreis von 13,50 Euro je Packung. Ihr kam der Preis nicht zu niedrig vor. Sie haben den Markt beobachtet. In 22 Tagen seien 4400 Packungen angeboten worden. Durchschnittspreis: zwölf Euro.

Laut dem Sachverständigen für E-Bay-Geschäfte, Professor Heiko Burchert von der Fachhochschule Bielefeld, gibt es vier Verkäufergruppen: Diabetiker, Versorger und Entsorger, die Produkte von Patienten oder aus deren Nachlass erhalten, und "Massenrealisierer". Von den 939 analysierten Verkäufern zählt Burchert elf zu der letzten Gruppe: Personen mit einem "beruflichen Zugang" zu Teststreifen, die regelmäßig viele Produkte verkaufen. Er sagte, der niedrige Preis und die hohen Packungsmengen hätte stutzig machen müssen.

Die 51-Jährige sagte, sie habe nicht daran gedacht, dass es sich um illegale Ware handle. Die Geschäfte seien nicht über E-Bay gelaufen, um Gebühren zu sparen. Zudem habe sie zu jeder Sendung eine Quittung erhalten und den Gewinn - rund zwei Euro je Packung - versteuert. Auch die Kriminalbeamten bescheinigten ihr eine "ordentliche Buchführung". Bei der Hausdurchsuchung habe sie alle Unterlagen schnell herausgerückt, sie sei kooperativ gewesen.

Dass der Diebstahl herausgekommen ist, ist der Bank der Verkäuferin zu verdanken. Die hatte hinter den regelmäßigen höheren Zahlungseingängen Geldwäsche vermutet. Sonst wäre das nie aufgeflogen, sagte die Verkäuferin im Zeugenstand, dazu habe es ihr die Firma zu leicht gemacht. Sie war in der Auftragsbearbeitung tätig und hatte interne Bestellungen veranlasst, die für den Eigenbedarf und die Einarbeitung neuer Mitarbeiter kostenlos seien, was der heute noch zuständige Leiter der Abteilung bestätigte. Kontrolliert wurde nicht, das mache man erst ab Aufträgen über 50 000 Euro. "Ich bin mir sicher, da werden heute noch Paletten aus der Firma geschleppt", sagte die Verkäuferin.

Der Staatsanwalt war nach sechseinhalb Stunden Verhandlung sicher: Die Angeklagte hätte misstrauisch werden und nachfragen müssen, woher die Ware stammt. Sie habe in Kauf genommen, dass es sich um illegale Ware hätten handeln können. Er forderte ein Jahr und neun Monate Haft ohne Bewährung sowie den Werteeinzug von rund 110 000 Euro, etwa 118 000 Euro forderte der Nebenkläger. Der Verteidiger forderte Freispruch, weil für seine Mandantin weder Preis noch Menge ungewöhnlich gewesen seien. "Ich kann nichts finden, wie sie auch nur ansatzweise herausfinden sollte, dass was faul ist." Auch das Schöffengericht sah dies so. Ihre Buchführung, ihre Kooperation und dass sie Steuern zahlte, zeige dies. Der 51-Jährigen steht nun eine Entschädigung zu. Die Verkäuferin war zuvor schon zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt worden. Sie hatte Ware für rund 629 000 Euro unterschlagen.

© SZ vom 26.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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