Georg-von-Vollmar-Medaille für Horst Schmidt:Denken und Diskutieren

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Bevor Natascha Kohnen dem Stadt- und Kreisrat die höchste Auszeichnung der Bayern-SPD überreichte, sprachen die Zwei mit der SZ über Politik, Partei und Bildung

Interview von Antonia Steiger und Florian Tempel

Horst Schmidt kommt natürlich als Erster zum Interview, exakt fünf Minuten vor dem ausgemachten Termin. Man kann sich nicht vorstellen, dass er jemals unpünktlich wäre, so höflich und zuvorkommend wie er aus Prinzip ist. Natascha Kohnen ist ebenso wenig zu spät, aber doch ganz anders: Sie kommt auf die Minute genau, schwungvoll und mit großer Präsenz.

SZ: Frau Kohnen, vor sieben Jahren waren Sie dabei, um Horst Schmidt in den Ruhestand zu verabschieden. Jetzt sind Sie da, um ihn mit der Georg-von-Vollmar-Medaille auszuzeichnen. Sind Ehrungen ein wichtiger Teil der Parteiarbeit?

Natascha Kohnen: Die Georg-von-Vollmar-Medaille ist die höchste Ehrung der bayerischen SPD, die man kriegen kann. Das ist schon eine wirklich besondere Ehre.

Hat Fritz Steinberger sie auch bekommen?

Horst Schmidt: Er hat sie 2006 erhalten. Der erste im Landkreis war der Hans Nikolau aus Wartenberg, das muss 1996 gewesen sein.

Die Georg-von-Vollmar-Medaille ist Chefinnensache, da müssen Sie kommen?

Kohnen: Horst Schmidt ist früh auf mich zugekommen und hat gesagt, ich möchte, dass du kommst. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren eine sehr enge Beziehung entwickelt, eine tiefe Freundschaft.

Sind Sie viel unterwegs zu solchen Besuchen?

Kohnen: Ich bin in diesem Jahr zu sehr vielen hundertjährigen Jubiläen von Ortsvereinen eingeladen. Aber dass ich spezifisch zur Ehrung einer einzelnen Person komme, ist echt selten.

Schmidt: Der Erdinger SPD-Ortsverein hatte 2013 das Hundertjährige, damals kam der Franz Maget.

Man merkt schon, eine Partei ist eben auch ein Verein.

Kohnen: Hans-Jochen Vogel, auch ein enger Wegbegleiter, hat zu mir gesagt, denke immer die Geschichte der SPD mit. Von ihm, Horst Schmidt und vor allem unserem gemeinsamen Freund Max Mannheimer habe ich gelernt, was Geschichte bedeutet. Aber dieses Jahr mit so viele Jubiläen, das ist schon ungewöhnlich.

Insofern ist die SPD mit all ihren Feiern aber eben doch ganz lebendig?

Kohnen: Die Jubiläen sind ein Gedenken und ein Sich-Bewusst-Werden. Das ist heute mehr denn je wichtig. Besuchen Sie einmal eine Parlamentssitzung im Landtag. Das ist irre, wie sich der Ton verschärft hat und in welche Rhetorik die AfD da reingeht. Womit wir bei Horst Schmidt wären, der im Kampf gegen Rechts immer ein Flaggschiff in der SPD war.

Schmidt: Es waren zwei Elemente, die mich beruflich von Anfang an begleitet haben. Ich habe beim Parteivorstand in Bonn als Gründungssekretär die Historische Kommission begleitet. Ein Element war es, Wissenschaft und Partei zusammenzubringen. Das andere war, die Partei zu mobilisieren, sich mit ihrer eigenen Geschichte zu beschäftigen. Der andere Schwerpunkt war für mich die Auseinandersetzung mit Rechtsradikalismus. Es gab ja auch mal eine Zeit, als der bayerische Innenminister gesagt hat, Rechtsextremismus gibt es bei uns nicht. Und dann kam die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die gezeigt hat, dass es dieses Potenzial in der Mitte der Gesellschaft gibt.

Was hat Sie persönlich zu politischen Menschen werden lassen?

Kohnen: Ich bin über die Antiatomkraftbewegung in die Politik gekommen. Wackersdorf war mein Einstieg. Meine Eltern haben mich aufs Münchner Luisen-Gymnasium geschickt, eine extrem politische Schule damals. Mit dem tollen Direktor Josef Kurz, der gesagt hat, Leute, fangt an zu denken und zu diskutieren. Und er hat unserem Lehrer genehmigt, zwei Busse zu mieten und mit uns nach Wackersdorf zu fahren.

Das war für Sie der initiale Moment?

Kohnen: Ich bin da ausgestiegen und habe mir gedacht, wie kann ein Staat mit seinen Bürgerinnen und Bürgern so umgehen?

Wie war es bei Horst Schmidt?

Schmidt: Bei mir war es im Studium in Regensburg. Ich komme aus einem ganz konservativen Elternhaus. Als ich später in Bonn angefangen habe bei der SPD zu arbeiten, hat mein Vater immer gesagt, der Bub arbeitet bei der Regierung, damit er das mit der SPD nicht sagen muss. An meinem Gymnasium war ich einer der wenigen, der gesagt hat, um den Frieden zu bewahren, brauchen wir die Bundeswehr. Diese Diskussion hat uns in der Gruppe politisiert. Nach dem Abitur war ich zwei Jahre bei der Bundeswehr, zum Schluss Leutnant und habe einen Zug geführt. Das hat mich dazu gebracht, Verantwortung zu übernehmen. Doch ich habe auch gemerkt, ich führe Menschen, bin dafür aber nicht gut ausgebildet. Deshalb habe ich dann neben Geschichte auch Erwachsenenbildung studiert. 1975, mit 24 Jahren, bin ich in die SPD eingetreten, um politische Verantwortung zu übernehmen und die alte Tante SPD zu erneuern.

Bei Ihnen war der Parteieintritt deutlich später, Frau Kohnen?

Kohnen: Wir haben einige Jahre in Paris gelebt. Dort habe ich für meinen Sohn Kinderbetreuung gesucht, und das war kein Problem. Als ich ihn nur halbtags unterbringen wollte, haben die zu mir gesagt, wo kommen Sie denn her? Aus Deutschland - da haben die sich totgelacht. 1999 sind wir in den Landkreis München gekommen, nach Neubiberg. Ich bin ins Rathaus und habe nach der Kita gefragt. Die Antwort werde ich nie vergessen: "Na, so was brauchen wir hier nicht, denn wenn die Frauen frei haben, gehen sie eh nur shoppen."

Das ist gerade mal 20 Jahre her.

Kohnen: Die Antwort hat mich so geplättet. Per Zufall begegnete mir ein paar Tage später die Bürgermeisterkandidatin der SPD, Johanna Rumschöttel, die später auch Landrätin geworden ist. Sie hat mich gefragt, haben Sie Bock bei diesem Wahlkampf mitzumachen? Ich hab's gemacht, sie ist Bürgermeisterin geworden und ich saß im Gemeinderat. Da habe ich das politische Handwerkszeug gelernt.

Was ist das, das politische Handwerk?

Kohnen: Du musst argumentieren lernen, aber auch auf den anderen eingehen und Kompromisse suchen für die beste Sachlösung - all das. Deshalb war der Landtag ein echter Schock.

Warum?

Kohnen: Die Staatsregierung, die damals ja noch allein regieren konnte, hat alle Ideen von den anderen Parteien, egal, was es war, weggewischt. Das war schon hart. Die CSU konnte und kann bis heute nicht über ihren Schatten springen und zugeben, Mensch, die Opposition bringt da einen guten Vorschlag.

Da muss uns Horst Schmidt sofort sagen, ob es in Erding anders ist.

Schmidt: Also im Kreistag ist es nicht anders, im Stadtrat tatsächlich schon. Aber es sind auch andere Mehrheitsverhältnisse. Willy Scheib sagt immer, ohne die SPD-Stimmen kann die CSU im Stadtrat nichts entscheiden. In der Regel wird im Stadtrat eh vernünftig gearbeitet und man versucht in der Regel gemeinsam, eine Lösung zu finden. Im Kreistag ist es tatsächlich eher so, dass der Landrat mit seiner Mehrheit seine Positionen durchsetzen und seine Macht absichern will.

Wenn einer in der Partei anfängt, will er aber nicht über Kommunales reden, sondern auch über die großen Themen wie Klimawandel, Wohnen oder Verkehr. Finden diese Diskussionen in den Ortsverein statt?

Schmidt: Sie finden zu wenig statt. Wir haben uns in Erding, aus meiner Sicht, in den vergangenen zehn, 15 Jahren zu sehr nur mit kommunalpolitischen Themen befasst. Diskussionen über die Rente, über Energie- oder Friedensfragen finden zwar statt, finden aber zu wenig Niederschlag in der Öffentlichkeit. Wir versuchen jetzt wieder mehr landes- und bundespolitische Themen zu diskutieren. Was mir persönlich fehlt, ist die Beschäftigung mit Europa, mit Sicherheits- und Friedensfragen. Das wird das zentrale Thema der kommenden Jahre, auch für unsere Demokratie.

Sie sei in tiefer Freundschaft mit Horst Scmidt verbunden, sagt die SPD-Landesvorsitzende Natascha Kohnen. (Foto: Renate Schmidt)

Es gibt den verbreiteten Eindruck, dass die Parteipositionen zu den großen Themen weiter oben in kleinen Führungszirkeln entschieden werden.

Schmidt: Die Entscheidungen werden auf den Parteitagen getroffen.

Wird da noch richtig diskutiert?

Kohnen: Oh ja! Da sind wir richtig gut drin.

Schmidt: In Bayern wird es sogar wieder lebendiger. Die Diskussionskultur auf Parteitagen ist wieder besser geworden.

Frau Kohnen, auf Ihrer Homepage haben Sie geschrieben, sie waren seit 2009 in ganz Bayern unterwegs, um mit Verbänden und Initiativen Bündnisse zu schmieden, um aus der Opposition heraus Bayern mitzugestalten. Partei alleine reicht nicht? Weil sie zu kraftlos und zu klein ist?

Kohnen: Ich kenn's überhaupt nicht anders. Egal, was du tust, suchst du dir doch immer Kollegen und Freunde, die was mit dir gemeinsam machen. Als ich Generalsekretärin geworden bin, kam Markus Söder, damals CSU-Generalsekretär, mit der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Ich hab' gedacht, mich tritt ein Pferd. Da kam in mir das Gefühl von Wackersdorf hoch, das waren ja auch Bündnisse von Schülern, Bauern und vielen anderen. Das haben wir wieder gebraucht. Das war jetzt beim Polizeiaufgabengesetz dasselbe. Das ist so vielen verschiedenen Leuten gegen den Strich gegangen, dass sie sich zusammengetan haben.

Sind solche Bündnisse völlig unschädlich für die SPD?

Schmidt: Eine Partei soll ja im Prinzip den politischen Willen aus der Bevölkerung heraus sammeln, bündeln und in die parlamentarische Arbeit hineintragen. Deshalb braucht es Bündnisse.

Aber die SPD nennt sich doch Volkspartei. Das hat einen so umfassenden Anspruch, als ob man das als SPD sowieso alles in sich drin hat, macht und regelt, und gar nicht erst groß Bündnisse schließen müsste mit anderen?

Kohnen: Als Volkspartei geht es vor allem darum, den ganzen Lebensverlauf der Menschen in der eigenen Politik mitzudenken, für Kinder und Familie, Junge und Ältere.

Aber es ist schon so, dass die SPD einen hohen Altersdurchschnitt bei den Mitgliedern hat. Wenn man älter wird, wird man da nicht auch konservativer?

Schmidt: Aber nein! Wenn ich unseren Ortsvereinsvorsitzenden Karl-Heinz Gallin anschaue, der über 70 ist, der ist sehr stark im linken Spektrum verankert. Ich glaube aber, dass man im Alter etwas bedächtiger wird, ein Stück pragmatischer. Es mag sein, dass es ein Stückweit unser Problem ist, dass wir manchmal zu pragmatisch, zu lösungsorientiert sind und zu wenig die politisch-symbolische Auseinandersetzung suchen.

Wie geht's weiter mit der SPD?

Kohnen: Wir stecken jetzt erst mal mitten im Europawahlkampf, mit Maria Noichl aus Rosenheim, einer tolle Spitzenkandidatin, die am 23. Mai nach Erding kommt.

Schmidt: Im Landesvorstand gibt es nun Projektgruppen, die sich um die innere Organisation kümmern. Politik, Organisation und Personen - wir brauchen den Dreiklang aus qualifiziertem Personal, klaren politischen Positionen und einer Organisationsstruktur, die uns Wahlkampf, Diskussion und Dialog ermöglicht. Und diesen Dreiklang brauchen wir auch vor Ort, im Ortsverein.

Nur noch eine Frage. Natascha Kohnen wird bestimmt noch lange weiter machen mit der Politik, aber wie sieht es bei Horst Schmidt aus?

Schmidt: Ich werde 2020 nur auf den hinteren Plätzen kandidieren, damit andere weiter vorne zum Zug kommen. Ich bleibe aber sicher noch ein bisschen bei der Fischers Wohltätigkeitsstiftung. Da muss man nicht Stadtrat sein, da reicht es, wenn man Bürger von Erding ist. Das ist eine sehr reizvolle Aufgabe, weil sie das Soziale, den Wohnungsbau und Gesundheitspolitik miteinander verbindet.

© SZ vom 20.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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