Gegenseitige Anzeigen:Die Hoffnung auf Frieden stirbt zuletzt

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Ein Täter-Opfer-Ausgleich soll einen seit 16 Jahren währenden Nachbarschaftstreit beenden. So recht daran glauben tut es keine Seite

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Am Schluss der Verhandlung gab der Staatsanwaltschaft allen Beteiligten noch einen Ratschlag auf den Heimweg mit: "Gehen sie ergebnisoffen in das Gespräch beim Täter-Opfer-Ausgleich. Es muss doch nach 16 Jahren möglich sein, sich aus dem Weg zu gehen, sich in Ruhe zu lassen. Legen sie endlich einen Deckel auf den Topf". Doch so recht überzeugend waren die Zusagen des vermeintlichen Täters und seinem angeblichen Opfer nicht. Jeder hatte so seine Einschränkung, warum es vielleicht auch nach 16 Jahren Nachbarschaftsstreit mit diversen Anzeigen in beiden Richtungen, nicht klappen könnte mit dem Frieden.

Der Auslöser der letzten Anzeige wegen Beleidigung soll die Aussage "Du impotente Sau" gewesen sein, was der Angeklagte, ein 66-jähriger Rentner vor Gericht aber bestritt. Vielmehr sei er das Opfer in all den Jahren. Und nicht nur er werde von seinem Nachbarn auf der Straßenseite gegenüber in einer Tour "beleidigt, provoziert und bedroht", sondern fast das ganze Dorf. Diesmal sollte aber er die Beleidigung Mitte Juli vergangenen Jahres geäußert haben.

Doch bis der Angeklagte dazu konkret Stellung bezog, holte er weit aus, denn mit der "Vorgeschichte" könne Richterin Sabine Schmaunz "besser urteilen". Und der 66-Jährige holte weit aus - bis zum ersten Kontakt mit seinem Nachbarn vor 16 Jahren. Damals habe er als ersten Satz von ihm gehört, dass er seinen Hund vergiften werde, wenn der noch mal auf sein Grundstück uriniere. "Vom ersten Tag an war die Atmosphäre vergiftet." Und die weiteren Treffen seien geprägt gewesen von Beleidigungen, sogar ein Stein habe der Nachbar einmal nach ihm geworfen - aber nur die Hauswand getroffen. Am Anfang habe er noch mit Auslachen reagiert, aber die Vorwürfe seien immer heftiger geworden. Irgendwann sei die Grenzen erreicht worden. Spätestens als ihm Affären mit Frauen im Ort angedichtet worden seien und er ihn als Pädophilen hingestellt habe. "In einem kleinen Dorf kann das ein Todesurteil für einen sein", sagte der 66-Jährige. Einmal sei er sogar vom Nachbarn angespuckt worden - was zur Anzeige führte. Im Falle der Pädophilie-Unterstellung sei der Nachbar sogar verurteilt worden. Wie viele Anzeigen es insgesamt gegeben hat, inklusive zweier noch laufender Verfahren, konnte nicht exakt festgestellt werden. Für ihn stehe nach dem "Studium" seines Nachbarn fest, dass dieser ein "krankhaft psychopathisches Verhalten" habe.

Richterin Schmaunz hörte sich geduldig die Aussagen des Angeklagten an und schlug daraufhin einen Täter-Opfer-Ausgleich vor, eine Möglichkeit zur Zusammenwirkung von Täter und Opfer, um einen Konflikt außergerichtlich beizulegen, "sonst streiten sie noch weitere 50 Jahre". Sie sehe aber schon, in welch verfahrener Situation alles sei. Auf die Befragung von vier Zeugen wollte sie lieber verzichten: "Die Zeugen werden auch nur aufzeigen wie zerrüttet die Sache ist". Den vorgeschlagenen Weg wollten der Angeklagte und seine Verteidigerin aber zunächst nicht nehmen. Der Versuch eines Ausgleich sei schon einmal gescheitert - natürlich am Nachbarn und es könne nicht sein, dass ihr Mandant für etwas gerade stehen soll, was er nicht gemacht habe. Und dass parallel noch weitere vier Verfahren mit Anzeigen gegen und von Dorfbewohnern laufen, zeuge davon, dass nicht der Angeklagte der Täter sei. "Dann müsste das ganze Dorf bei so einem Ausgleich mitmachen", sagte die Verteidigerin.

Staatsanwalt und Richterin überließen es dem Angeklagten sich zu entscheiden, entweder das Verfahren durchziehen und danach weiter im Streit zu leben, oder es vorläufig einzustellen gegen die Auflage, dass der Ausgleich zumindest versucht wird. "Ich bin da schmerzfrei. Von mir aus können sie weiter 15 bis 20 Jahre streiten", sagte der Staatsanwalt. Letztlich akzeptierte der 66-Jährige den Vorschlag, "auch, wenn es mir schwer fällt. Auch im Namen aller Nachbarn, die seit Jahren dem Terror ausgesetzt sind".

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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