Gefängnis Erding:Ermittlungen hinter Gittern

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Ein ehemaliger Gefangener hat den Dienstleiter der Justizvollzugsanstalt Erding wegen versuchter Körperverletzung angezeigt, und ein einfacher Vollzugsbeamter ist ins Visier der Drogenfahndung geraten

Von Florian Tempel und Tahir Chaudhry, Erding

Vor zwei Monaten hat die SZ Erding über die Justizvollzugsanstalt Erding (JVA) berichtet: über den Konsum von Drogen im Knast und wie Rauschgift eingeschmuggelt wird. Die SZ hat nun weitere Informationen aus dem Innenleben der JVA erhalten. Die Staatsanwaltschaft Landshut ermittelt nach einer Anzeige eines ehemaligen Häftlings gegen den Dienstleiter der JVA Georg Gaigl wegen versuchter Körperverletzung. In einem weiteren Fall wurde schon vor einem Jahr monatelang und mit großem Aufwand gegen einen einfachen Vollzugsbeamten ermittelt, der Rauschgift in die JVA geschmuggelt haben soll. Dieses Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, da sich keine Beweise fanden. Ganz im Gegenteil schien es am Ende so zu sein, dass ein unbescholtener Beamter zu Unrecht unter Verdacht geraten war.

Die Ermittlungen gegen Dienstleiter Gaigl dauern noch an, stehen aber laut Auskunft des Pressesprechers der Staatsanwaltschaft Landshut, Oberstaatsanwalt Klaus Ruhland, kurz vor dem Abschluss. Anzeigen von Häftlingen gebe es ab und an, sagt Ruhland, gleichwohl seien sie "keine Routine". Gaigl selbst wollte sich nicht zu den Vorwürfen äußern. Es ist gut möglich, dass der Fall schon bald ohne weitere Konsequenzen eingestellt wird.

Ein 26-jähriger Australier, der von Ende 2015 bis Anfang 2016 in Erding inhaftiert war, sieht sich als Opfer von Beamtenwillkür. Er hatte bei der Staatsanwaltschaft Telefonate mit Angehörigen und seinen Anwälten beantragt und genehmigt bekommen. Gaigl und andere Beamten hätten seine Rechte jedoch mehrmals ignoriert. Als er das erste Mal mit seinem Vater in Australien telefonieren durfte, habe er "gerade einmal drei Minuten mit ihm gesprochen, als Gaigl zu mir gesagt hat, dass ich das Gespräch sofort beenden soll", sagt der Australier. Als er ihn darauf hingewiesen habe, dass ihm 30 Minuten genehmigt worden waren, sei Gaigl vor Wut übergekocht: "Er ist vollkommen ausgerastet, und die Anweisungen der Staatsanwaltschaft waren ihm egal." Es kam zum Streit, und "dann ist er plötzlich auf mich losgerannt, um mich zu schlagen". Zwei Beamte hätten ihn im letzten Moment davon abgehalten.

Diese Darstellung wird von einem ehemaligen Mithäftling, einem 25-jährigen Briten, bestätigt: "Ich habe gesehen, wie Gaigl von wüsten Beleidigungen zum Angriff überging. Ich hab' dann versucht, den Australier rauszuziehen und ihn zu beruhigen." Noch tagelang sei der Vorfall unter Gefangenen und Beamten Gesprächsthema gewesen. Der Brite hat seine eigene Erklärung, warum es zu dieser Eskalation kam: "Sie haben ihn gehasst", weil der Australier in zwei Monaten Deutsch gelernt habe und nach noch mal zwei Monaten das Strafgesetzbuch "auswendig" gekonnt habe. "Er war anders als die meisten, er war selbstbewusst und kannte seine Rechte gut", sagt der Brite.

Wenige Tage nach seiner Entlassung aus der JVA zeigte der Australier Gaigl an. Er weiß, dass der Vorfall von einer Überwachungskamera aufgenommen worden ist und somit Videoaufzeichnungen vorliegen müssten. Doch nach der Anzeigenerstattung hörte er monatelang nichts mehr. Als er sich offiziell beschwerte, warum alles so lange dauert, erhielt er von der Generalstaatsanwaltschaft München eine ernüchternde Antwort. Die Sicherstellung der Videoaufzeichnung, die auch die Staatsanwaltschaft interessierte, sei "aufgrund zwischenzeitlicher Überspielung der Aufnahme gescheitert". Der Australier will das so nicht akzeptieren. Er will, dass ermittelt wird, ob die Videoaufzeichnungen etwa bewusst überspielt wurden, um Beweise zu vernichten.

Der zweite Fall aus der JVA Erding ist anders gelagert: Hier wurde gegen einen Vollzugsbeamten äußerst intensiv und mit allen erdenklichen Möglichkeiten ermittelt. Der Beamte war im Herbst 2014 nicht von einem gewöhnlichen Gefangenen, sondern von einer sogenannten V-Person der Polizei schwer belastet worden. V-Personen sind für Drogenfahnder wichtige Mitarbeiter. Das "V" steht für Vertrauen. Was die V-Person sagt, gilt als glaubwürdig: Der Beamte habe Heroin und andere Drogen in den Knast geschmuggelt. Ab und an habe er sogar mit Gefangenen in Hafträumen gemeinsam gekifft.

Oberstaatsanwalt Ruhland beteuert, dass die "sehr aufwendigen Ermittlungen", die nach diesen Beschuldigungen in Gang gesetzt wurden, erst nach sorgsamer Prüfung durch einen Ermittlungsrichter zugelassen worden seien. Ruhland räumt aber auch ein, dass es "massive Eingriffe" in das Leben des Beamten waren.

Mehr als ein halbes Jahr lang hörte die Polizei jedes seiner Telefongespräche mit, observierte ihn und erstellte Bewegungsprofile. Schließlich rückte die Kripo Erding frühmorgens zur Wohnungsdurchsuchung an. Danach musste sich der Vollzugsbeamte erkennungsdienstlich erfasse lassen und eine Haarprobe abgeben, anhand der überprüft wurde, ob und welche Drogen er konsumiere. Die Ermittlungen führten zu nichts. Nach der Einstellung des Verfahrens machte der Beamte etwa 1000 Euro für Anwaltskosten und ähnliches geltend. Die Generalstaatsanwaltschaft München teilte ihm mit, man werde ihm nur 261 Euro zahlen. Zudem erstattete der Beamte Strafanzeige wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung. Aus dieser Anzeige wurde gar nichts.

"Ich frage mich, wie man Grundrechte - auf eine vage Vermutung hin - in dieser Größenordnung einfach aushebeln darf, ohne dass der Verursacher für die Falschaussage geradestehen muss", sagte der Beamte. Er fühle sich wie "ein Depp im Wald". Auch dem Australier geht es in seinem Fall nicht anders: "Vollzugsbeamte wissen genau, dass Gefangene sowieso unglaubwürdig wirken. Aber wer außer einem Kriminellen könnte einen JVA-Mitarbeiter beschuldigen?"

© SZ vom 30.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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