Geburtshilfe am Klinikum:Es kann auch länger dauern

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"Wir haben einen klaren Auftrag", sagt Dirk Last vom Klinikvorstand. (Foto: oh)

Die Wiedereröffnung des Kreißsaals im Oktober steht keineswegs fest, sondern ist nur ein Wunschziel. Bei einem Infoabend erhalten werdende Eltern den Tipp, das Kind in München entbinden zu lassen

Von Florian Tempel, Erding

Eines bleibt: Jeden ersten Mittwoch im Monat veranstaltet das Klinikum Erding einen Infoabend für werdende Eltern. Sonst aber ist seit dieser Woche alles anders. Im Erdinger Krankenhaus wird es wegen akuten Hebammenmangels mindestens bis Oktober keine natürlichen Geburten mehr geben, nur noch geplante Kaiserschnitte. Zum Infoabend am Mittwoch, wie immer im tristen Speisesaal im Untergeschoss des Klinikums, waren dennoch wieder viele Schwangere gekommen, alleine oder mit Partner.

Der für die werdenden Eltern wesentliche Inhalt des Informationsabends war, in welche andere Klinik man zum Kinderkriegen gehen kann. Chefärztin Birgit Niemeyer sagte, prinzipiell überall, hatte aber auch einen ganz konkreten Tipp. Die Geisenhofer-Klinik habe sich von sich aus im Klinikum Erding gemeldet. Bei denen würden noch "300 bis 400 Geburten" möglich sein. Niemeyer ließ eine Mitarbeiterin schnell einen Stapel Infoblätter der Geisenhofer-Klinik holen, zum Mitnehmen für jeden, der Interesse hatte.

In der ganz auf Frauen und Geburten spezialisierten Münchner Privatklinik kommen etwa 2500 Babys pro Jahr zur Welt. Alles super professionell dort. Die Klinik ist auch sehr schön gelegen am Rand des Englischen Gartens, ungefähr auf Höhe des Chinesischen Turms. Laut dem Routenplaner von Google-Maps dauert eine Autofahrt von Erding dorthin etwa 40 Minuten, bei "normaler Verkehrslage". Die Volkshochschule Erding, so die Anregung einer Schwangeren, sollte schnell einen neuen Kurs ins Programm aufnehmen: "Wie kriege ich mein Kind im Auto." In Schweden gebe es so was.

Eine Frau, die einen Geburtstermin im Oktober hat, fragte nach, ob sie sich dafür jetzt schon im Klinikum Erding anmelden könnte. Im Oktober soll der vorübergehend geschlossene Kreißsaal ja wieder öffnen. Die Antwort darauf: Nein, das sei noch zu früh, für die Frau selbst, aber auch fürs Klinikum. Der 1. Oktober als Wiedereröffnungstermin sei nur das Wunschziel, gestand Hebamme Annemarie Wolf. Ob das realistisch ist, sei eine andere Frage. Die Lage sei zwar "nicht hoffnungslos", aber von Sicherheit könne nicht die Rede sein. Spätestens im Januar 2018, das habe man sich ganz fest vorgenommen, soll der Kreißsaal wieder aufmachen. Bei den Infoabenden im August und September wisse man es vielleicht schon besser. "Wenn sich was tut, erfahren Sie das auch aus der Zeitung", sagte Chefärztin Niemeyer.

Die Stimmung beim Infoabend war erstaunlich friedlich. Nur wenige nutzen die Gelegenheit, ihrem Unmut freien Lauf zu lassen. Dass man im Klinikum einer so reichen Stadt kein Kind mehr auf die Welt bringen könne, sei doch ein ganz schlechter Witz "zum Totlachen", erregte sich ein werdender Vater. Seine schwangere Frau war auch ziemlich wütend. Erding leiste sich eine "Weiherrenovierung" und "rostige Stahltore in jedem Kreisel", habe aber keine funktionierende Geburtshilfe mehr. Da habe offensichtlich die Klinikleitung versagt "und die Politik gepennt". Sie wolle sofort wissen, wie das passieren konnte.

Die Frau bekam auf ihre Frage, die vor allem ein Vorwurf war, keine direkte Antwort. Dirk Last, der stellvertretende Klinikchef, versprach, das man alles tue, was möglich sei. Man habe einen "ganz klaren Auftrag" von der Erdinger Kommunalpolitik: "Oberstes Ziel ist es, dass im Ladkreis Erding auch wieder Erdinger auf die Welt kommen. Der Landrat und die Politik stehen zu 100 Prozent dahinter, dass es Priorität hat, den Kreißsaal wieder zu eröffnen". Das bedeute nicht, dass das Ziel "koste es, was es wolle", erreicht werden müsse. Geld sei in diesem Fall eh nicht das Wichtigste. Entscheidend sei, dass man Hebammen finde, die hier arbeiten wollen.

Hebamme Annemarie Wolf stellte dazu eines klar: Sie und ihre Kolleginnen, "wir lassen uns nicht anstellen". Sie wollten alle weiter als freiberufliche Beleghebammen arbeiten. Warum das derzeit nicht klappt, sei ein "sehr komplexes Thema", sagte Wolf. Es spielten so viele Faktoren eine Rolle. Am Dienstag hätte ein Schiedsstellenverfahren, an dem Hebammen und Krankenkassen beteiligt sind, neue Regel festlegen sollen. Doch die Sache wurde wieder vertagt und man weiß immer noch nicht, wie es weiter geht. Für Außenstehende sind die Ursachen und Gründe der Misere kaum nachzuvollziehen. Nur eines steht offensichtlich fest: Es gibt ein ganz akutes Problem der Geburtshilfe in Deutschland, das ist kein spezifisches Erdinger Problem. Auf der Internetseite des Hebammenverbandes zeigt eine Karte dass in der Republik seit 2015 mehr als 40 Geburtsabteilungen geschlossen worden sind. Alle Bundesländer, Ballungsräume und ländliche Regionen sind gleichermaßen betroffen.

Klinikmanager Last wies letztlich auf eines hin: Es gibt Akteure in der Gesundheitspolitik, die Kreißsaalschließungen an Häusern wie Erding nur logisch finden. Früher seien 400 Geburten pro Jahr als gute Zahl für eine Geburtsabteilung angesehen worden, später glaubte man 600 sei die richtige Größe. Mittlerweile rechneten Gesundheitsexperten vor, eine Geburtshilfeabteilung müsste 1000 Geburten pro Jahr haben. Im Klinikum Erding kamen 2016 knapp 700 Kinder auf die Welt. Dieses Jahr werden es viel weniger sein.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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