G8 schreckt ab:Attraktive Alternative

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40 Prozent der Grundschüler mit "gymnasialer Eignung" gehen lieber auf die Realschule

Von Florian Tempel, Erding

Die Realschule ist im Landkreis Erding der gefragteste Typ weiterführender Schulen. Für das kommende Schuljahr haben sich 476 Viertklässler an den vier Realschulen in Erding, Taufkirchen und Oberding angemeldet. Das ist zwar im Vergleich zum Vorjahr ein leichter Rückgang von 3,6 Prozent. Berücksichtigt man jedoch, dass der aktuelle Jahrgang der Viertklässler etwa 15 Prozent weniger Kinder hatte als der vorangegangene, haben die Realschulen nochmals in ihrer Attraktivität zugelegt. Das zeigt sich vor allem im Vergleich mit dem Anmeldezahlen an den drei Gymnasien in Erding und Dorfen, die um 20 Prozent auf nur noch 356 Kinder zurückgangen sind. Anders ausgedrückt: Nach der Grundschule wechseln ein Drittel mehr Viertklässler auf die Realschule als aufs Gymnasium.

Das Übertrittsverhalten im Landkreis Erding ist somit vollkommen anders als etwa in der Stadt München. Dort wurden in diesem Mai dreimal so viele Kinder an einem Gymnasium angemeldet wie an einer Realschule. Zwar erhalten in München mehr Grundschüler als im Landkreis Erding die "gymnasiale Eignung" bescheinigt. In München sind es etwa 60 Prozent, im Landkreis etwas mehr als 50 Prozent. Das kann den gewaltigen Unterschied beim Übertritt aber nicht erklären. In München geht offenbar so gut wie jeder Viertklässler, der den Notenschnitt schafft, ans Gymnasium. Im Landkreis Erding ist das anders: Hier haben sich etwa 40 Prozent der Kinder mit gymnasialer Eignung - oder ihre Eltern - gegen das Gymnasium und für die Realschule entschieden. Dass die Zahl der Kinder mit gymnasialer Eignung an den Realschulen mehr wird, ist dem stellvertretenden Leiter der Realschule Taufkirchen, Bernd Friedrich, in diesem Jahr besonders aufgefallen. In den vergangenen Jahren machten sie etwa 50 Prozent der Fünftklässler an seiner Schule aus, nun waren es bereits zwei Drittel. Mit 125 Anmeldungen ist die Zahl der neuen Schüler in Taufkirchen zudem insgesamt zurückgangen.

Auch an der Herzog-Tassilo-Realschule in Erding sind weniger Kinder als im Vorjahr eingeschrieben worden. Statt zuletzt 144 waren es nur noch 120. An der Realschule in Oberding ist es hingegen genau anders herum. Nach 51 Anmeldungen 2015 wollen nun 74 Kinder hier ihre Schullaufbahn fortsetzen. Die Schulleitung geht davon aus, dass erstmals drei fünfte Klassen gebildet werden. Ein Drittel der angemeldeten Schüler sind Mädchen. Die Oberdinger Realschule hat zuletzt verstärkt um Mädchen geworben. So wird zum Beispiel zum kommenden Schuljahr Reiten als Sportunterricht exklusiv für Mädchen eingeführt. Die katholische Mädchenrealschule Heilig Blut in Erding hat ebenfalls bei der Schülerzahl zugelegt. Nach 149 Anmeldungen im Vorjahr kamen in diesem Mai 157 Mädchen zur Einschreibung.

Dass die Realschulen der bevorzugte Schultyp im Landkreis ist, hat mehrere Gründe. Der Direktor des Dorfener Gymnasiums, Gerhard Motschmann, sieht es als eine Nachfolgewirkung der "tollpatschigen Einführung des G 8". Der Ruf des achtjährigen Gymnasiums als kräftezehrende und nervenaufreibende Turbo-Lehranstalt wirke wohl noch immer abschreckend. An den Realschulen gibt es zum Beispiel keinen Nachmittagsunterricht, der am Gymnasium von der sechsten Klasse an unvermeidlich ist.

Auch die Eröffnung der Fach- und Berufsoberschule (FOS/BOS) in Erding hat sicher die Attraktivität der Realschulen gesteigert. Das zeigt sich darin, dass nach übereinstimmenden Schätzungen der Schulleiter etwa 40 Prozent der Realschüler nach der Mittleren Reife an der Fachoberschule weitermachen. Wer in der Realschule in der siebten Klasse Französisch als zweite Fremdsprache wählt, der kann an der FOS relativ einfach auch das allgemeine Abitur machen. Alle anderen auch, sie fangen in der zweiten Fremdsprache jedoch bei Null an. Ein dritter Faktor ist, dass die Akademikerdichte im Landkreis Erding deutlich geringer ist als in der Stadt München. Im Landkreis haben 12,5 Prozent der Einwohner einen Hochschulabschluss, in München sind es knapp 30 Prozent. Wer als Vater oder Mutter am Gymnasium Abitur gemacht und anschließend studiert hat, scheint gleiches für seine Kinder zu präferieren. Nicht-Akademiker-Eltern sehen die Schullaufbahn ihrer Kinder offenbar entspannter.

© SZ vom 02.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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